
Der Cappuccino ist ein Statement.
Die Melange – eine Einladung.
Ersterer schäumt auf, letztere schwingt nach.
Beides Kaffee – aber nur einer versteht Wien.
HRP
Zwischen Erwin Wurm und Elena Koneff, zwischen Styx und Cremeschnitten: ein persönlicher Streifzug durch die Sammlung Essl – mit Respekt, Skepsis und Staunen.
Klosterneuburg, 11.10.2025, Harald R. Preyer
Ich stehe am Eingang der Albertina Klosterneuburg, einem dieser Orte, an denen die Gegenwart so still und selbstverständlich in Erscheinung tritt, dass man fast vergisst, wie jung sie eigentlich ist. Der Raum – großzügig, kühl, klar – empfängt uns mit einer Offenheit, die keine Schwellenangst kennt. Julia geht ein paar Schritte voraus, bleibt dann stehen und lächelt. Draußen stehen Pferde in ihren Koppeln und scheinen amüsiert und zufrieden zu, warten. Worauf? Dahinter gibt der wolkenverhangene Himmel für wenige Minuten den Blick auf die Kuppel von Stift Klosterneuburg frei. Das Licht ist diffus – ideal für Portraits.
Es ist unser erster Besuch hier. Und wir spüren sofort etwas Besonderes – als ob Architektur und Haltung ineinandergreifen. Vielleicht, weil dieser Ort aus einer Entscheidung heraus entstanden ist, die Mut und Verantwortung zugleich bedeutet – aus dem Willen einer Unternehmerfamilie, Kunst nicht zu besitzen, sondern weiterzugeben.
Ich kenne Martin Essl, den Sohn der Sammler Karl-Heinz und Agnes Essl. Ihm verdankt Wien im heurigen Frühjahr (2025) das große Fest „75 Jahre EU“ im Stephansdom. Heute stehe ich in jenem Raum, der sein Elternhaus der Kunst ist – nicht im privaten Sinn, sondern im übertragenen: als Ort des Vertrauens in das Menschliche.
Ich empfinde große Dankbarkeit, dass Menschen wie die Essls oder Hans Peter Haselsteiner Kunst nicht nur als Kapital betrachten, sondern als Vermächtnis. Und auch Dank gegenüber den vielen, die dieses Projekt tragen – den Museumsmanagerinnen, den Politikern, den Steuerzahlern, die es am Ende mitfinanzieren. Es ist leicht, sich über öffentliche Kulturförderung zu empören; aber wer hier durch die Räume geht, spürt, dass es sich lohnt.
Was ist überhaupt Kunst?
Wo beginnt sie? Und wo endet sie?
Diese Fragen begleiten mich seit Jahren – als Betrachter, nicht als Kritiker. Vielleicht ist Kunst überall dort, wo jemand das Sichtbare so ernst nimmt, dass es über sich hinausweist. Manchmal ist sie groß, manchmal klein, manchmal so unauffällig, dass man sie fast übersieht.
Ich bin kein unkritischer Bewunderer der Gegenwartskunst. Zu oft sehe ich darin bloß Geste und Ironie, Konzept statt Berührung. Aber wenn man sich auf die Werke wirklich einlässt, wenn man stehenbleibt und sieht, beginnt etwas zu wirken. Dann wird auch die sperrigste Form zu einer Einladung. Und plötzlich merkt man, dass diese Kunst vielleicht nicht gefallen will – sondern etwas anderes tut: Sie weckt Bewusstsein.
Wir gehen hinauf in den Ausstellungsbereich und betreten den ersten großen Saal. Es ist still, nur das gedämpfte Knirschen der Schritte auf dem Betonboden. Angenehm wenig Menschen sind heute hier. Zweitweise sind wir mit den Künstlern alleine. An der Wand hängen die glänzenden Karosserien von Andy Warhol – Rennwagen, abstrahiert zu Symbolen des Tempos, der Reproduktion, der Sehnsucht nach Geschwindigkeit. Ich bleibe davor stehen und denke: Das ist doch kein Bild eines Autos, sondern eines Zeitalters.
Warhols „Mercedes-Benz Formel Rennwagen W125“ ist in Wahrheit ein Memento mori aus Chrom und Farbe. Geschwindigkeit vergeht, Ruhm vergeht, aber das Bild bleibt. Vielleicht ist das sein Trost: dass auch das Flüchtige einen Ort in der Ewigkeit finden kann.
Andy Warhol, „Mercedes-Benz Formel Rennwagen W125“, 1987 rechts im Hintergrund und andere seiner bekannten Werke. Acryl und Siebdruck auf Leinwand.
Im nächsten Raum wie eine Antwort auf Warhols Kühle, hängt Robert Indianas „Classic Love“. Die vier Buchstaben sind so vertraut, dass man sie fast übersieht. Doch in dieser farbigen Wolle steckt eine Zärtlichkeit, die nichts Ironisches mehr hat. Sie ist handgemacht – eine textile Meditation über das, was bleibt, wenn alle Trends verflogen sind.
Ich bleibe lange davor stehen. Liebe als Muster, nicht als Pose. Vielleicht ist das schon der Unterschied zwischen Kitsch und Kunst: dass das eine gefallen will, während das andere still bleibt und wartet, bis man bereit ist.
Robert Indiana, „Classic Love“, 1995. Wolle.
Ein paar Schritte weiter das Werk von Ida Szigethy. Ein Blick aus einem Rolls-Royce auf eine Wand, dahinter nichts als Dunkel. „Ohne Ausweg“, steht auf dem Schild. Ich spüre, wie sich der Raum verändert: Diese Malerei ist kein Luxusobjekt, sondern eine Beichte. Das glänzende Holzlenkrad wird zum Symbol jener Freiheit, die sich selbst überfordert. Was vor dem Autoradio auf den ersten Blick so aussieht wie ein Stöckel von Yuliya’s braunen Schuhen, ist bei näherer Betrachtung der Daumen der rechten Hand der Pilotin, die gerade einen neuen Sender eingestellt hat.
Ida Szigethy, „Ohne Ausweg“, 1978/79. Öl auf Leinwand.
Ich denke an all die Fahrerinnen und Fahrer, die glauben, sie könnten das Leben steuern – bis sie begreifen, dass der Tunnel kein Irrtum, sondern Teil der Strecke ist. Szigethy malt diesen Moment ohne Pathos, aber mit der Klarheit einer Frau, die sich selbst nichts vormacht.
Vor einem der größten Werke des Raumes bleibe ich wie gebannt stehen: ein farbig pulsierender Strudel, eine Spirale, die mich förmlich in sich hineinzieht. Es könnte auch der Blick in den Lauf eines teuren Luftdruckgewehres mit einem gezogenen Lauf sein. Philip Taaffes Unit of Direction aus dem Jahr 2003.
Rot, Blau, Gelb – Primärfarben wie Signale – kreisen in präziser Geometrie um ein winziges Zentrum, das zugleich wie ein Auge und wie ein Versprechen wirkt.
Ich lese die Tafel daneben. Taaffe, so erfahre ich, hat sich jahrelang mit Ornamentformen aus verschiedenen Kulturen beschäftigt – von römischen Mosaiken über islamische Arabesken bis zu fernöstlichen Mandalas.
Je länger ich schaue, desto mehr erkenne ich: Diese Spirale ist kein Ornament, sondern eine Bewegung des Geistes. Sie zieht mich hinein in etwas, das weder rational noch dekorativ ist – ein Sog, der mich an das Denken selbst erinnert: immer kreisend, suchend, niemals still.
Es ist faszinierend, wie Taaffe das Meditative der Form mit der Strenge der Mathematik verbindet. Sein Werk hat etwas zutiefst Spirituelles, auch wenn es das nie behauptet.
Vielleicht liegt die Kraft moderner Kunst gerade darin, dass sie sich nicht festlegt. Sie lässt Raum für Zweifel – und genau dort, im Zweifel, beginnt Erkenntnis.
Philip Taaffe, Unit of Direction, 2003. Mischtechnik auf Leinwand, Albertina Klosterneuburg – Sammlung Essl.
Nach der ornamentalen Strenge von Taaffe trete ich in einen Raum, der fast körperlich vibriert.
Alexandre Diop, 1995 in Paris geboren, arbeitet mit allem, was die Welt ihm gibt: Metall, Latex, Leder, Holz, Zeitungen, Nägel, Stoffe. Seine Assemblagen sind keine Collagen im klassischen Sinn – sie sind Verdichtungen von Leben.
Ich lese seine Worte: „Ich muss von der Realität ausgehen, um eine neue zu erschaffen.“
Das ist kein Konzept, sondern eine Lebenshaltung.
Vor seinem großen Werk – eine wuchernde Komposition aus Figuren, Stoffen, Farben, Gewalt und Zärtlichkeit – spüre ich die ganze Unruhe dieser Zeit. Diop lässt nichts unberührt: Rassismus, Kolonialgeschichte, männliche Macht, Spiritualität. Alles ist ineinander verflochten. Es ist, als würde die Leinwand atmen, kämpfen, schwitzen.
Diese Kunst ist nicht schön im klassischen Sinn – aber sie ist wahrhaftig.
Alexandre Diop, „Ohne Titel“, um 2022. Assemblage aus Stoffen, Metall, Papier und Farbe. Albertina Klosterneuburg – Sammlung Essl.
Ein paar Räume weiter: Erwin Wurm.
Fünf Figuren stehen da, elegant und grotesk zugleich. Köpfe gibt es keine, die Körper enden abrupt in eckigen Blöcken. Anzüge, Stiefel, Kleider – makellos.
Ich muss lächeln. Wurm nimmt die modische Oberfläche ernst genug, um sie zu sprengen. Seine Box People sind Karikaturen unserer Gesellschaft: zu perfekt, zu eckig, zu sehr auf Form und Status fixiert.
Ich frage mich, ob das Lachen über diese Figuren befreiend ist – oder beschämend. Wurm zeigt uns, wie sehr wir selbst in unseren Hüllen gefangen sind.
Und doch: Es steckt Zärtlichkeit darin. Seine Figuren sind verletzlich, obwohl sie so starr wirken. Vielleicht liegt darin die eigentliche Pointe seines Werkes – dass hinter dem Absurden das zutiefst Menschliche aufscheint.
Erwin Wurm, „Box People“, um 2015. Textil, Holz, Schuhe, gemischte Materialien. Albertina Klosterneuburg – Sammlung Essl.
Nach Wurm wird es stiller. Kälter. Ich trete in den Raum von Bruno Gironcoli – und plötzlich scheint die Luft aus Metall zu bestehen.
Vor mir liegt eine Figur, silbern, glatt, monumental: Daphne, 2002. Kein klassischer Akt, keine anmutige Verwandlung, sondern ein hybrides Wesen zwischen Mensch und Maschine, Opfer und Schöpfer.
Gironcoli sagte einmal, er wolle den Menschen in all seinen „Abgründen und Zwanghaftigkeiten“ zeigen. Und das tut er.
Diese Gestalt, halb liegend, halb aufgerichtet, mit geschlossenen Augen und einer Antenne aus dem Kopf, wirkt wie eine Kreuzung aus Mythos und Labor.
Ich kann nicht sagen, ob sie schläft oder träumt – oder ob sie längst aufgehört hat, beides zu tun.
In der makellosen Aluminiumhaut steckt etwas zutiefst Unheimliches. Der Körper scheint gefroren in seiner eigenen Idee. Und doch liegt in dieser Kälte eine seltsame Würde.
Vielleicht ist das Gironcolis Beitrag zur großen Frage, was Kunst mit uns macht: Sie zwingt uns, auszuhalten, was wir sonst verdrängen würden.
Bruno Gironcoli, Daphne, 2002. Aluminium, Albertina Klosterneuburg – Sammlung Dagmar und Manfred Chobot.
Dann ein unförmiger, fleischfarbener Körper, irgendwo zwischen Figur und Masse. Die Oberfläche scheint lebendig und zugleich wie verbrannt, durchzogen von schwarzen Adern, an manchen Stellen mit leuchtend rotem Acryl aufgerissen.
Der Titel: Eva Beresin, In Ekstase verweilen (2023).
Es ist eine Skulptur aus 3D-Druck und Acrylfarbe – eine groteske, fast komische Form, die an das Ungeformte im Menschen erinnert.
Ich lese: „Familiensammlung Haselsteiner“ – und muss lächeln. Selbst in der Ekstase, so scheint es, bleibt in Österreich die Kunst ordentlich dokumentiert.
Doch hinter der Ironie steckt etwas sehr Ernstes. Beresins Figur ist verletzlich, erschöpft, sinnlich, vielleicht erlöst.
Sie ruht in sich – oder in dem, was von ihr geblieben ist.
Diese Arbeit, geschaffen von einer ungarisch-österreichischen Künstlerin, die seit Jahrzehnten mit Körperbildern ringt, scheint mir ein Kommentar zur Gegenwart zu sein:
Wir haben uns digitalisiert, perfektioniert, multipliziert – und doch bleibt das Fleisch, die Form, die Sehnsucht nach Berührung.
Eva Beresin, In Ekstase verweilen, 2023. Acryl auf 3D-Druck, PLA. Albertina Klosterneuburg – Familiensammlung Haselsteiner.
Ein paar Schritte weiter begegne ich einem anderen Gegenpol zur Materialfülle:
Elena Koneff, geboren 1939 in Moskau, emigrierte 1979 nach Wien. Ihre Arbeiten sind monochrom schwarz, gewebt aus Kordeln, Gummi, Sisal und Harz. Die Serie Black Relief (1978) wirkt wie ein geheimer Dialog zwischen Textil und Kosmos.
Knoten, Schlingen, Fasern – alles scheint sich in einer stillen Gravitation zu bewegen, als würde die Materie selbst über die Schwerkraft des Lebens nachdenken.
Ich empfinde große Ruhe vor diesen Werken.
Nach all der expressiven Lautstärke der Gegenwartskunst ist Koneffs Schwarz fast eine Gebetshaltung.
Ihre Reliefs erinnern an Wunden, die zu Ornamenten geworden sind – an Verbindungen, die reißen und sich wieder schließen.
Vielleicht ist das, was mich so berührt, die Demut dieser Kunst: kein Lärm, kein Anspruch, nur ein leises Atmen im Raum.
Elena Koneff, Schwarzes Relief, 1978. Kordel, Gummi, Sisal, Farbe, Harz. Albertina Klosterneuburg.
Und dann, fast als stilles Echo auf Koneffs schwarze Reliefs, sehe ich Werke von Soli Kiani, geboren 1981 im Iran.
Schwarz, Weiß, Seile – eine Sprache der Gegensätze. Kiani arbeitet mit denselben Materialien, die im Iran bei Hinrichtungen verwendet werden. Sie verwandelt sie in etwas anderes: in Sinnbilder von Befreiung, in poetische Widerstände gegen das Verstummen.
Ihre Arbeiten sind kraftvoll, aber nicht laut. Sie erzählen von weiblicher Identität zwischen Tradition und Moderne, Religion und Säkularität, Schuld und Stolz.
Was mich besonders bewegt: In dieser Schwere liegt etwas zutiefst Versöhnliches.
Vielleicht, weil Kiani nichts zerstören will – sie will verwandeln.
In den Seilen, die sie zu Skulpturen knüpft, scheint sich die Spannung des Lebens selbst zu verdichten. Jeder Knoten ist zugleich Fessel und Verbindung.
Und als ich mich umdrehe, sehe ich Yuliya vor diesen Figuren stehen – in sanftem Rosa, die Hand auf der Tasche, still, aufmerksam.
Ein schöner Moment: zwei Frauen, die sich nicht kennen, und doch etwas Gemeinsames teilen – das stille Wissen, dass Freiheit immer eine innere Bewegung bleibt.
Soli Kiani, Installation aus der Serie „Black Line“, um 2020. Seile, Stoff, Harz. Albertina Klosterneuburg.
Hinter den Seilfiguren von Soli Kiani erkenne ich an der Wand noch einmal ein rundes, fast mandalaartiges Werk von Elena Koneff – ein schwarzes Relief aus Kordeln und Gummi, das wie ein stiller Planet im Hintergrund ruht.
Dieses Werk scheint die Szene zu umarmen: Die Bewegung der Stricke bei Kiani antwortet auf die geordnete Ruhe Koneffs.
Das Schwarz beider Arbeiten ist kein Nichts, sondern ein Speicher von Bedeutung – ein Stoff, der Licht verschluckt, um Tiefe zu erzeugen.
Elena Koneff, „schwarzer Schild“ (mein Titel), Kordel, Gummi, Sisal, Farbe, Harz. Albertina Klosterneuburg
Draußen, gleich zwischen den Ausstellungsräumen, stehen wir vor einer silbernen Abdeckung aus Metall. Darauf in schwarzen Lettern: STYX.
Zuerst halte ich es für eine Wasserleitung, dann für ein Kunstwerk. Doch ein Mitarbeiter erklärt uns: „Das ist die Abdeckung eines Kunstwerks – ‚Welle‘. Die Firma, die sie gefertigt hat, heißt Styx.“
Ein schöner Zufall: Der Name erinnert an den Fluss, der Leben und Tod trennt – und verbindet.
Hier oben, zwischen Glas, Beton und Rasen, fließt er nun als Kunstwerk weiter – still, metallisch, aber voller Bedeutung. Oder vielleicht ist die Welle einfach eine zärtliche Geste an eine Frau, die sich hier Blumen wünschte.
Abdeckung der „Welle“ – gebaut von Firma Styx im Atrium der Albertina Klosterneuburg.
Danach folgen wir dem Duft von Kaffee. Oben, beim Café neben den Ausstellungsräumen, stehen sie in der Vitrine: rosa und gelbe Cremeschnitten, so weich und leicht wie ein ironischer Nachsatz der Kunst.
Wir teilen keine, weil ich Yuliya noch ein spätes gutes Mittagessen zaubern werde. Aber wir lachen fröhlich, weil auch diese süsse Kreation für uns im Moment Kunst ist. Alles, was eben noch schwer war – Gewalt, Schmerz, Verwandlung – löst sich auf in Süße und Staubzucker.
Cremeschnitten im Café der Albertina Klosterneuburg.
Bevor wir gehen, halten wir noch kurz inne. Eine Wand voller Bücher mit der Aufschrift Kunst der Gegenwart – in kräftigem Rot, als wollte sie sagen: Das Heute zählt.
Wir sehen uns an, lächeln. Ja – das tut es.
Harald und Yuliya Preyer vor der Bücherwand „Kunst der Gegenwart“.
Und dann, unten nach dem Ausgang, das letzte Foto.
Das Licht ist weicher geworden, die Luft still.
Yuliya lehnt sich an mich, die Wiesen leuchten hinter uns, als hätten sie alles gehört.
Wir denken an Michaelina Wautier gestern im KHM, an Wurm, Diop, Gironcoli, Beresin, Koneff, Kiani heute hier – und an all das, was sie gemeinsam verbindet:
Mut, Genialität und Menschlichkeit.
Und wir fühlen uns bestätigt:
Die größte Gegenwartskunst bleibt die Liebe.
Harald und Yuliya Preyer vor der Albertina Klosterneuburg im warmen späten Nachmittagslicht des Herbstes.
Kurzbeschreibung
Ein persönlicher Rundgang durch die Ausstellung DE SCULPTURA in der Albertina Klosterneuburg. Harald Preyer begegnet Werken von Wurm, Gironcoli, Koneff und anderen – mit Wertschätzung, kritischer Distanz und offenem Herzen. Eine Einladung, Kunst als Spiegel des Lebens zu sehen.
Ein Zwiegespräch in Farbe und Licht von Harald R. Preyer
Petrus (leise, aber bestimmt):
Ich trage den Schlüssel, Symbol der Macht, die mir anvertraut wurde.
Christus sprach: „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreichs geben.“
Mein Blick ist fest, mein Griff sicher. Ich bin Wächter des Glaubens,
Hüter der Ordnung, Träger der Verantwortung.
Joachim (nachdenklich):
Und ich trage das Buch – nicht, um zu lehren, sondern um zu verstehen.
Spät im Leben habe ich noch ein Wunder erfahren,
das mich zum Vater der Jungfrau Maria machte.
Ich lese, um in den Worten Gottes
den Sinn meines Alters zu finden.
Petrus:
Dein Licht ist weich, dein Blick gesenkt – du suchst in der Tiefe.
Ich hingegen stehe im Steinportal, das den Himmel andeutet,
und halte den Schlüssel gegen das Licht,
als wolle ich die Schwelle öffnen.
Joachim:
Dein Licht kommt von außen, meines von innen.
Dein Künstler wollte zeigen, wie die Welt dich ehrt,
meine Malerin wollte zeigen, wie die Seele still wird.
Sie kannte das Herz besser als den Glanz.
Petrus:
Ich bin fest, klar umrissen – geschaffen, um Glauben zu bekennen.
Du bist weich, verhalten, geschaffen, um Glauben zu fühlen.
Wir beide tragen das gleiche Geheimnis:
Gott offenbart sich im Menschen – im Zweifel wie im Vertrauen.
Joachim (lächelnd):
Vielleicht, Bruder, braucht der Himmel beides:
die Hand, die den Schlüssel hält,
und das Herz, das die Schrift versteht.
Petrus:
Dann sei mein Lesen dein Schlüssel,
und dein Schweigen meine Antwort.
So schließt sich der Kreis:
Der Glaube in Tat und Stille –
die Liebe in Macht und Demut.
Geboren in Brügge, war Van Oost einer der bedeutendsten flämischen Maler des 17. Jahrhunderts. Nach Studien in Italien stand er unter dem Einfluss von Guido Reni und Caravaggio, deren Lichtdramaturgie und klassizistische Klarheit er zu einer eigenen Form des flämischen Illusionismus¹ verband.
Seine Werke zeigen Heilige und Patrizier mit starker plastischer Präsenz, häufig in warmem Kolorit und ruhiger Monumentalität. Der „Hl. Petrus“ aus der Sint-Salvatorskathedraal in Brügge zeigt ihn als Apostel der Autorität – die faltenreiche Gewandung und der metallische Glanz des Schlüssels sind Sinnbilder kirchlicher Würde und Verantwortung.
Eine der bemerkenswertesten Künstlerinnen des flämischen Barock – und zu ihrer Zeit fast vergessen. Sie arbeitete in Brüssel, gemeinsam mit ihrem Bruder Charles, und wurde vom Erzherzog Leopold Wilhelm, dem Kunstmäzen der Habsburger, gefördert.
Ihr „Hl. Joachim lesend“ (Kunsthistorisches Museum Wien) offenbart ihre Stärke: die Verbindung von menschlicher Innerlichkeit² und malerischer Feinheit. Wautier zeigt Joachim, den Vater Marias, in stiller Versenkung – kein Held, sondern ein Hörender. Das warme, gedämpfte Licht legt sich wie eine Decke über ihn; es ist das Licht des Nachdenkens, nicht des Ruhms.
Während Van Oost auf äußere Präsenz, Würde und Symbolkraft zielt, sucht Wautier die leise Bewegung der Seele.
So wie Petrus und Joachim zwei Pole des Glaubens verkörpern – den handelnden Apostel und den lauschenden Vater –, so verkörpern auch Van Oost und Wautier zwei Wege der Kunst:
den Weg der Darstellung und den Weg der Erkenntnis.
Beide aber münden – wie die Figuren selbst – in einer gemeinsamen Wahrheit:
„Der Himmel braucht beides – die Hand, die öffnet, und das Herz, das versteht.“
¹ Illusionismus: Malweise, die durch geschickte Lichtführung und Raumdarstellung den Eindruck von Dreidimensionalität und stofflicher Realität erzeugt.
² Innerlichkeit: künstlerische Betonung des seelischen Ausdrucks über äußere Handlung oder Repräsentation.
Ein Essay über eine fast vergessene Meisterin des flämischen Barock
von Harald R. Preyer
Manchmal steht man vor einem Gemälde und spürt, dass es spricht – aber anders, leiser, tiefer als die lauten Bilder ringsum.
So erging es mir in der Ausstellung „Michaelina Wautier“ im Kunsthistorischen Museum Wien.
Yuliya und ich standen vor dem Heiligen Joachim, einem alten Mann, der in sein Buch vertieft ist. Kein Prunk, kein Pathos, kein Glanz. Nur Licht, das aus der Stille kommt.
Und plötzlich fiel mir auf: kein Name.
Keine Signatur, kein stolzes „fecit“.
Nichts, was Besitz oder Ruhm beansprucht.
Nur ein Bild, das einfach da ist – und einen anschaut, als wüsste es, was es weiß.
Michaelina Wautier, geboren um 1604 in Mons, gestorben 1689 in Brüssel, war alles, was sie im 17. Jahrhundert nicht sein durfte: eine Frau, die Historien malt, männliche Akte studiert, sich in Theologie und Mythologie auskennt – und sich traut, den inneren Menschen zu zeigen, nicht den äußeren Helden.
Während ihre männlichen Kollegen um Rubens, Jordaens und van Dyck mit großen Werkstätten und noch größeren Gesten die Welt eroberten, blieb sie eine Einzelne in einem System, das Frauen bestenfalls als Dilettantinnen duldete.
Sie signierte selten, arbeitete ohne Schule, ohne Schüler, ohne Protektion.
Das allein genügte, um aus der Geschichte zu verschwinden.
Denn der Ruhm des Barock war ein Netz aus Namen, Märkten und Männern.
Von den heute bekannten rund zwei Dutzend Gemälden Wautiers sind nur wenige signiert.
Die bekannteste Inschrift findet sich auf dem monumentalen Triumph des Bacchus (1650, Kunsthistorisches Museum Wien):
Michaelina Wautier, inv. et fecit 1650.
(Michaelina Wautier erfand und malte dieses Werk.)
Diese Formel ist ein Statement.
Sie beansprucht nicht nur das Handwerk, sondern auch die Erfindung – das geistige Eigentum.
Für eine Frau des 17. Jahrhunderts war das revolutionär.
Doch genau dieses Selbstbewusstsein war ihr Hindernis: Es passte nicht in eine Zeit, die Frauen in das Private, das Zarte, das Dekorative verbannte.
Viele ihrer Werke wurden später Männern zugeschrieben – ihrem Bruder Charles Wautier, dem flämischen Maler Jacob van Oost oder anderen Zeitgenossen.
Erst die belgische Kunsthistorikerin Katlijne Van der Stighelen wies im 21. Jahrhundert nach, dass Michaelina keine Fußnote, sondern eine Meisterin war.
Wer heute ihre Gemälde betrachtet, erkennt sofort, was sie von ihren männlichen Kollegen unterscheidet:
Van Oost lässt das Licht von außen kommen – von einer göttlichen Quelle, die den Körper modelliert.
Wautier lässt es von innen leuchten.
Ihr „Hl. Joachim lesend“ ist nicht spektakulär, sondern menschlich.
Der Alte liest nicht, um zu lehren, sondern um zu verstehen.
Er hat nichts mehr zu beweisen.
Das Licht, das auf seine Stirn fällt, ist kein theatralischer Schein, sondern ein stilles Wissen.
Hier malt keine Repräsentation, sondern Empathie.
Keine Pose, sondern Präsenz.
Und man spürt: Diese Malerin kannte das Herz besser als den Glanz.
Dass Michaelina Wautier in Vergessenheit geriet, war kein Zufall, sondern System.
Die Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts schrieb Helden, nicht Menschen.
Sie suchte Namen, Schulen, Epochen – nicht Stille, Demut oder seelische Wahrheit.
Eine Frau, die unabhängig arbeitete, ohne Nachfolger, ohne Nachlass, passte nicht in dieses Schema.
Doch genau das macht sie heute so modern.
In einer Zeit, in der wir nach Authentizität hungern, nach Bildern, die nicht inszenieren, sondern verstehen wollen, spricht ihre Kunst wieder direkt zu uns.
Sie malte keine Macht, sondern Gnade.
Keinen Triumph, sondern Wahrhaftigkeit.
Sie hat nicht versucht, sich zu beweisen – sie hat versucht, zu sehen.
Rubens war der Maler des Glanzes.
Wautier ist die Malerin des Gewissens.
Er feiert den Körper, sie erkennt die Seele.
Er malt die Welt, wie sie sich zeigt; sie malt, wie sie fühlt.
Vielleicht ist das der Grund, warum sie uns heute näher ist als ihre berühmten Kollegen:
weil sie nicht mit uns spricht, sondern uns zuhört.
Ihre Bilder sind keine Predigten, sondern Antworten auf Fragen, die wir noch gar nicht zu stellen wussten.
Und vielleicht liegt genau darin ihre Größe:
Sie hat ihre Werke nicht signiert,
weil sie wusste, dass das, was zählt,
nicht der Name ist,
sondern das Licht, das bleibt.
Die Geschichte beginnt in einem Garten.
Susanna, eine verheiratete, fromme Frau, geht wie jeden Tag in den Garten ihres Hauses, um zu baden. Zwei ältere Männer – angesehene Richter im Volk – beobachten sie heimlich. Sie begehren sie und nutzen ihre Macht, um ihr eine Falle zu stellen: Entweder sie gibt sich ihnen hin, oder sie wird öffentlich der Untreue bezichtigt.
Susanna weigert sich. Ohne Zorn, ohne Aufsehen. Einfach klar. Sie sagt Nein – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung. Die Männer halten Wort: Sie lügen. Und das Volk glaubt ihnen. Susanna wird verurteilt.
Da erhebt sich plötzlich ein junger Mann aus der Menge – Daniel. Er spürt, dass etwas nicht stimmt. In ruhigem Ton verlangt er, die beiden Alten getrennt voneinander zu befragen. Ihre Aussagen widersprechen sich. Die Lüge fliegt auf. Die Wahrheit findet Gehör – weil einer hinhört.
Am Ende heißt es schlicht: „Gott erhörte ihr Schreien.“ – Und Daniel wurde zum Retter einer Unschuldigen, allein durch sein feines Gespür und den Mut, der Stimme des Gewissens zu folgen.
Bibel, Altes Testament, Buch Daniel 13,1 – 14,42
Jacopo Tintoretto und Paolo Veronese, zwei Meister der venezianischen Spätrenaissance, haben diese Szene auf je eigene Weise gestaltet – beide Werke hängen heute im Kunsthistorischen Museum Wien.
Jacopo Tintoretto, „Susanna im Bade“, um 1564. Öl auf Leinwand, 96 × 124 cm. Kunsthistorisches Museum Wien. Gemäldegalerie Saal V
Susanna im Moment der inneren Sammlung. Nackt, aber nicht entblößt. Wachsam und klar, umgeben von dunklem Laub – die Bedrohung schleicht, aber sie bleibt aufrecht.
Paolo Veronese, „Susanna und die beiden Alten“, um 1580–1585. Öl auf Leinwand, 140 × 194 cm. Kunsthistorisches Museum Wien.
Susanna im Licht, umgeben von Farben, fast leuchtend. Die beiden Männer treten nahe, doch sie weicht nicht. Sie bleibt bei sich – in einer Würde, die kein Urteil trüben kann.
Diese Geschichte, diese Bilder, diese Frau – sie erzählen von mehr als einem biblischen Vorfall.
Sie erzählen davon, was es heißt, in der Wahrheit zu bleiben, auch wenn sie niemand hören will.
Davon, wie gefährlich Macht sein kann – und wie heilend Aufmerksamkeit.
Und davon, dass das Vertrauen in das Richtige manchmal das Einzige ist, was wir haben – und das Stärkste, was wir brauchen.
Susanna hat sich selbst nicht verraten. Daniel hat ihr zugehört.
Und die Kunst bewahrt diesen Moment – nicht als frommes Märchen, sondern als zeitlose Erinnerung an die Kraft der Würde.
22.11.2024 Heute habe ich Yuliya und Harry zu einer Vernissage mitgenommen. Hermanns Hund hat uns eingeladen. Der ist schon erwachsen so wie ich bald und er wohnt im Wald in einem tollen Haus und sein Herrchen macht was ganz Tolles. Habe ich vorher noch nie gesehen. Der macht Bilder aus Gold! Die haben dann auch ohne Licht geleuchtet. Ganz gespenstisch war das.
Da hat dann ein ganz lieber Mann gesprochen. Zu dem haben alle Pater gesagt, aber der hat gar nicht so ein langes Kleid an wie die anderen Mönche, die ich kennengelernt habe. Jedenfalls hat er ganz toll gesprochen. Ich habe nicht gleich alles verstanden. Aber dann habe ich den Kopf schief gelegt. Er hat dann zu mir gesagt: „Teddy Dir geht es gut. Du wirst mit ganz viel Liebe erzogen. Alles Gute!“ Habe ich lieb gefunden. Werde ich meinem Freund, dem Künstler Hund erzählen.
Und ich wünsche dann seinem Herrchen, dass viele rote Punkte auf die Goldbilder geklebt werden. Da habe ich zugeschaut. Das macht sie einfach farbenfroh, finde ich. Und ich habe auch gemerkt, dass der Mann, der auch auf der Bühne gestanden ist und der dann das Buffet eröffnet hat, dass der sich auch immer gefreut hat, wenn er einen roten Punkt drauf geklebt hat. Der hat also auch meinen Geschmack.