Teddy lernt Theologie

Heute war ich mit Harry beim Lernen. Am Montag hat er eine Prüfung, und ich weiß nicht genau, worum es da geht, aber es war echt spannend! Die drei haben über eine schwierige Frage geredet: Warum gibt es Leid, wenn Gott doch so lieb und allmächtig ist? Warum sorgt er nicht einfach dafür, dass alle glücklich sind?

Der schlaue Mann hat gesagt: „Vielleicht will Gott uns prüfen, so wie den Hiob.“
Die junge Frau meinte: „Vielleicht lässt Gott uns die Freiheit, auch mal Fehler zu machen und nicht immer alles richtig zu machen.“
Und Harry hat gesagt: „Ich kann das nicht so genau erklären. Aber ich weiß, dass Leid mit euch und im Vertrauen auf Gott viel leichter ist als ganz allein und mit Angst. Und wenn traurige Menschen zu mir kommen und Teddy sie dann lieb anschaut, fühlen sie sich gleich ein bisschen besser.“

Da habe ich mich so gefreut, dass ich sogar bei Harrys Prüfung helfen kann! Ich war richtig stolz.

Nach dem vielen Reden haben die drei dann einen guten Kaiserschmarrn gegessen. Für mich gab’s davon leider nichts, weil das nicht gut für mich ist. Aber es hat sooo himmlisch gerochen! Der liebe Ober hat mir stattdessen eine Schüssel Wasser und ein Blatt Extrawurst gebracht. Das war super! Ich will auf jeden Fall wieder mit, weil Lernen mit solchen lieben Freunden echt Spaß macht.

El Greco und die Hl. Martina

Am 30. Jänner feiert die römisch katholische Kirche den Gedenktag der Hl. Martina. In El Grecos Gemälde „Die Jungfrau Maria mit den hll. Agnes und Martina“ ist sie eine Nebendarstellerin.  

Diese frühchristliche Märtyrerin ist ein Symbol unerschütterlichen Glaubens und strahlender Sanftmut, die selbst das Wilde zähmen konnte. El Greco hat in seinem Gemälde „Die Jungfrau Maria mit den hll. Agnes und Martina“ diese Aspekte in einer Weise verewigt, die Kunst und Spiritualität meisterhaft vereint. Das Bild ist in hoher Auflösung (38 MB) hier gespeichert und kann heruntergeladen und gezoomt werden, um die Details genau zu betrachten.

Maria mit Kind und die hll. Martina und Agnes (zwischen 1597 und 1599)
Gemälde von El Greco (* um 1541 in Candia auf Kreta; † 7. April 1614 in Toledo); eigentlich Domínikos Theotokópoulos
National Gallery of Art, Washington, D.C.

Martina und die gezähmte Wildheit des Glaubens

Die Legende von Martina erzählt, wie sie während der Christenverfolgung unter Kaiser Alexander Severus in eine Arena geworfen wurde, um von wilden Tieren zerfleischt zu werden. Doch die Löwen, die eigentlich ihren Tod besiegeln sollten, legten sich sanft zu ihren Füßen. Die Märtyrerin beeindruckte sie durch ihre furchtlose Glaubensüberzeugung und die innere Ruhe, die aus ihrer tiefen Verbindung zu Gott entsprang. Diese außergewöhnliche Szene ist nicht nur ein Motiv von Stärke, sondern auch von friedlicher Überwindung des Bedrohlichen.

El Greco greift dieses Attribut auf und platziert den Löwen zu Martinas Füßen, als wäre er ein treuer Begleiter. Der Löwe blickt gelassen, fast andächtig, und lenkt den Fokus auf die spirituelle Kraft der Heiligen. Es ist weniger eine Zurschaustellung von Macht als ein Zeugnis für die transformierende Kraft des Glaubens, die selbst das Wilde in ein Symbol der Harmonie verwandeln kann.

El Grecos technische Brillanz: Der Ausdruck des Glaubens

El Grecos Gemälde überzeugt nicht nur durch seine Komposition, sondern auch durch seine subtile Technik. In der hohen Auflösung des Bildes lassen sich die Details studieren, die den besonderen Reiz seiner Kunst ausmachen. Seine lockeren, fast impressionistisch wirkenden Pinselstriche geben den Stoffen und Figuren eine Lebendigkeit, die aus der Distanz eine transzendente Wirkung entfaltet. Besonders Martinas gelber Umhang, der fast wie fließendes Gold erscheint, strahlt eine Wärme aus, die ihre innere Stärke unterstreicht.

Die Balance zwischen kühlen und warmen Farben in der Komposition spiegelt das Thema des Gemäldes wider: die Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit. Martinas Löwe, mit feinen Strichen modelliert, fügt sich dabei als integraler Bestandteil der Geschichte ein. El Greco inszeniert ihn nicht als gefährliches Tier, sondern als Verkörperung der gezähmten Wildheit – ein stiller Beweis für die Kraft der Sanftmut.

Details und Symbolik in El Grecos Werk

Die ikonografische Stärke des Gemäldes zeigt sich auch in den übrigen Figuren und Details. Maria, zentral platziert, repräsentiert die Verbindung zu Christus, während Agnes mit ihrem Lamm die Reinheit und das Opfer symbolisiert. Martinas Rolle als Märtyrerin wird durch ihre gelassene Haltung und den ruhigen Blick unterstrichen. Der Löwe an ihrer Seite ist nicht nur ein Attribut, sondern auch ein Hinweis darauf, wie Glaube und Liebe das Potenzial haben, Angst und Gewalt zu überwinden.

Die Engel im oberen Teil des Bildes verstärken diese Botschaft. Ihre sanften Gesten und aufrichtigen Blicke schaffen eine Atmosphäre des Friedens, die den Betrachter dazu einlädt, über die transformative Kraft des Glaubens nachzudenken.

El Greco: Ein Meister zwischen den Welten

El Greco (1541–1614) war ein Künstler, der über die Grenzen seiner Zeit hinaus wirkte. Seine Werke vereinen Einflüsse der venezianischen Schule mit der expressiven Kraft des Manierismus und der spirituellen Tiefe byzantinischer Ikonografie. In „Die Jungfrau Maria mit den hll. Agnes und Martina“ zeigt er seine Fähigkeit, das Göttliche und das Menschliche in einer harmonischen Komposition zu verbinden.

Dieses Gemälde ist mehr als eine Darstellung von Heiligen. Es ist eine Reflexion über die Macht des Glaubens und die Möglichkeit, durch innere Überzeugung und Sanftmut sogar das Wilde zu zähmen. Martina erinnert uns daran, dass wahre Stärke nicht in Gewalt liegt, sondern in der Fähigkeit, Liebe und Frieden auszustrahlen.

Teddy und die Angst

Das habe ich Euch noch gar nicht erzählt! Letzte Woche war ich mit Harry im Schweizergarten. Das ist, wo wir immer Frauchen abholen, wenn sie mit der Linie D fährt. Klingt so schön, wie die Gegend heißt: Quartier Belvedere. Harry spricht das immer Französisch aus, aber ich kann kein Französisch.

Also wir haben Frauchen abgeholt, aber wir waren schon eine Stunde vorher da. Weil wir noch in diesem Garten spazieren gehen wollten. Das Wetter war ja am Vormittag grau, aber als wir angekommen sind, wurde es heller. Dann sind wir gleich zu dem Teich mit den Enten und den weißen Vögeln gegangen.

Ich habe mich riesig gefreut, dass ich da in dem Garten ganz frei laufen darf und vielleicht bin ich zu laut gelaufen. Gebellt habe ich jedenfalls nicht. Aber plötzlich sind die weißen Vögel alle weggeflogen. Die haben mich gesehen und sind davon geflogen. Die Enten sind alle geblieben. Das habe ich gar nicht verstanden, weil die Enten sind ja auch alle kleiner als ich. Warum fliegen die weißen Vögel weg und die Enten bleiben?

Harry hat das auch gesehen, aber der war beschäftigt. Er hat nachgedacht, was er am Freitag den Kindern und Freunden von dem verstorbenen Maler am Friedhof sagen wird. Der hat nämlich an Gott geglaubt, aber er wollte nicht, dass ein Priester zu seiner Beerdigung kommt. Erst am Ende unseres Spaziergangs hat Harry dann zu mir gesagt: „Weißt Du, Teddy, vielleicht sind die weißen Vögel weggeflogen, weil sie Dich nicht kennen. Aber den Enten bist Du ganz egal. Die sehen Dich und wissen, dass Du kein Jaghund bist, sondern nur mit ihnen spielen willst. Die Enten haben einfach Vertrauen, dass Du lieb bist und nicht böse.“

Ich glaube aber nicht, dass das stimmt. Ich glaube, die weißen Vögel waren nur neidig, weil sie keinen so warmes Fell haben wie ich und das Wasser ist ja kalt. Die Enten haben viel Fett und denen war deswegen nicht kalt. Und als sie mich gesehen haben, war ihnen klar, dass ich gar kein Interesse an ihrem Fett habe, weil ich ja selbst schon so gut beschützt bin. Von meinem Fell und von Harry. Der ist ja noch viel größer als sie.

Aber vielleicht hatten die weißen Vögel auch einfach ein hartes Leben ohne viel Liebe und die Enten wurden immer in ihrer Familie sehr geliebt. Vielleicht haben deswegen die Enten nicht daran gezweifelt, dass ich sie nur anschauen und mit ihnen spielen will und die weißen Vögel hatten einfach nur Angst, dass ich ihnen wehtun will oder sie fressen.

Harry hat dann im Auto zu meiner Version gemeint: „Teddy, hast Du manchmal Angst?“ Ich habe darüber noch nie nachgedacht. Weil seit ich bei Yuliya und Harry bin, waren sie immer nur lieb zu mir und deshalb glaube ich, dass sie mich lieb haben. Ich weiß gar nicht so richtig, was das ist: Angst?

GAUDETE – Freut Euch!

Wie aus der biblischen Aufforderung, die dem dritten Adventsonntag ihren Namen gibt, eine reale Haltung werden könnte.

Auf Basis der Botschaft von „Gaudete“, also des Aufrufs zur Freude und zur hoffnungsvollen Ausrichtung auf das Wesentliche, lässt sich für Österreich ein Idealszenario entwerfen, in dem die Gesellschaft zu mehr menschlicher Wärme, verantwortungsvoller Freiheit und solidarischem Miteinander findet. 

Das wäre mein Idealszenario für Österreich.

  1. Freude an der Gemeinschaft
    Die Menschen in Österreich erkennen den Wert des Zusammenhalts neu. Sie lernen, einander mit Respekt, Achtsamkeit und Wohlwollen zu begegnen. Das beginnt bei der Nachbarschaft und weitet sich aus auf das gesamte Land. Gegenseitiges Vertrauen, generationenübergreifende Unterstützung und ein ehrliches Interesse am Wohl des Nächsten bestimmen das soziale Klima. Wie es im Philipperbrief heißt: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“ (Phil 4,4 Einheitsübersetzung 2016). Diese Haltung der Freude steht am Anfang jeder Veränderung.
  2. Gemeinwohl statt Polarisierung
    Anstatt sich in ideologischen Grabenkämpfen zu verlieren, konzentriert sich Österreich auf das Gemeinwohl. Politik und Wirtschaft arbeiten für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und sozialer Absicherung. Entscheidungen werden transparent, nachvollziehbar und partizipativ getroffen. Die Freude am gemeinsamen Gestalten überwiegt die Lust am Rechthaben. So entsteht ein Klima, in dem alle Stimmen gehört werden – auch die stillen.
  3. Spirituelle Tiefe und kulturelle Vielfalt
    Die Bewohner*innen Österreichs entdecken neu, dass die spirituelle Dimension des Lebens nicht altmodisch, sondern zutiefst menschlich ist. Ob aus christlicher Tradition, anderen Religionen oder aus einer offenen Sinnsuche heraus – es entsteht ein Raum, in dem Glaube, Hoffnung und Liebe nicht als verstaubte Begriffe, sondern als kraftvolle Ressourcen für das gesellschaftliche Leben verstanden werden. Die heimische Kultur, geprägt von langer Geschichte, Musik, Literatur und Kunst, wird dabei als Geschenk betrachtet, das mit Freude gepflegt, aber auch offen für neue Einflüsse ist. So entsteht ein kreativer Dialog zwischen Alt und Neu, Tradition und Innovation.
  4. Umweltverantwortung mit Zuversicht
    Inspiriert von der christlichen Grundhaltung der Schöpfungsverantwortung (vgl. Gen 1,26-31), entwickelt Österreich nachhaltige Konzepte im Umgang mit Natur und Ressourcen. Es geht um mehr als Pflichterfüllung: Es ist die Freude, die eigene Heimat für zukünftige Generationen zu bewahren, die Berge, Seen, Wälder und Städte in ihrer Schönheit zu erhalten. Die Bürger*innen verstehen Umweltschutz nicht als Last, sondern als gemeinsames Abenteuer, bei dem Technik, Kreativität und Herzblut Hand in Hand gehen.
  5. Bildung für Sinn und Verantwortungsbewusstsein
    Das Bildungssystem fördert nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern legt Wert auf Charakterbildung, Reflexion, ethisches Denken und Empathie. Österreichische Schulen, Lehrwerkstätten, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen setzen auf Begegnungen, Projekte und Dialog. Die Freude am Lernen wird neu entdeckt, weil Wissen nicht nur Selbstzweck ist, sondern Wege öffnet, mit anderen besser zusammenzuleben.

Wien, Stadtpark, Luftaufnahme
Copyright: Österreich Werbung, Fotograf: Christian Kremser

Gesamtbild
In diesem Idealszenario spürt man, dass Österreich zu einem Ort wird, an dem die Freude – „Gaudete“ – eine innere Haltung ist, die Menschen verbindet. Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Religion tragen zu einem hoffnungsvollen Miteinander bei. Herausforderungen werden nicht ignoriert, aber in einem Klima des Vertrauens und der Zuversicht angegangen. Die Botschaft „Freut euch!“ bedeutet hier keine Verdrängung von Problemen, sondern die Ermutigung, mit Offenheit, Güte und Tatkraft eine gerechtere und lebenswerte Zukunft zu gestalten.

Dieses Bild mag idealistisch sein, aber gerade die christliche Botschaft der Freude unterstreicht, dass das scheinbar Unmögliche lebbar werden kann, wenn wir uns aus innerer Überzeugung darum bemühen. Wesentlich ist dabei die dankbare Besinnung auf das, was unseren Vorfahren und uns bereits gelungen ist, geschenkt wurde und da ist, um gesehen, geschätzt und geliebt zu werden. Vieles davon ist nur von der scheinbar konservierenden Verpackung der Selbstverständlichkeit verdeckt.

Harald Preyer ist systemischer Coach und geistlicher Begleiter in Wien.

Der Geist der Weisheit

Predigt von Bischof Dr. Manfred Scheuer bei der Zeugnisfeier für die Absolvent:innen des Theologischen Fernkurses in Puchberg am 13.09.2024.

Erstveröffentlichung im Blog der Theologischen Kurse. Hier mit freundlicher Genehmigung von Dipl.-Theol. Dr. Piotr Kubasiak kopiert.

Dr. Manfred Scheuer
Bischof der Diözese Linz
(seit 17. Jänner 2016)

Foto: Hermann Wakolbinger, Diözese Linz 

Ist Dummheit eine Sünde? Diese provokante Frage stellt Thomas von Aquin.[1] Bei der Antwort geht es nicht um Studenten, die sich beim Studieren einmal schwer tun oder die bei einer Prüfung einmal durchfallen. Aber, so Thomas im 13. Jh., die Torheit bzw. Dummheit (stultitia), die Stumpfsinnigkeit und Herzensblödheit ein­schließt, ist dann nicht frei von Sünde, wenn der Mensch sich so sehr in die ir­dischen Dinge versenkt und ein Fachidiot wird, dass er untauglich wird, in der Weisheit die göttliche Wirklichkeit aufzunehmen. Das Laster der Torheit ent­stamme zumeist der „luxuria“, d. h. der Üppigkeit, der Vergnügungssucht, der Genusssucht, auch der Zügellosigkeit in der Ausübung der Macht oder in der Sexualität.

Jeder sitzt in seiner Blase und ist gekränkt, weil es auch noch andere Meinungen gibt: willkommen in der passiv aggressiven Gesellschaft. Auch in der Politik will man gar nicht mehr diskutieren: Der Wähler, der eine andere Meinung hat, gilt als bockiges Kind, das man mit Nichtachtung straft.

Ziel des theologischen Studiums sind nicht bloß Techniken oder gespeichertes Wissen sehen, sondern eine Urteilskraft, die zum „guten Leben“, zur Fülle des Lebens, zum ewigen Leben. Dabei können Gebote dem Studium und der Wissenschaft eine innere Ausrichtung und Ordnung geben. Denn auch Studium und Wissenschaft sind nicht wertneutral, sondern an personale Verantwortung und ethische Werte gebunden.

Im Studium steht die eigene Person in einem Gefüge von Politik, Wissenschaft, Öffentlichkeit, Ethik, Ökonomie. Da gibt es viele Sachzwänge, Einsager, anonyme Zwänge, da gibt es gar nicht so wenig, was das eigene Hirn und auch das Herz besetzt. Worum geht es insgeheim beim Studium? Welchen Stellenwert haben Leistung und Erfolg für das eigene Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl? Wenn der reine Ehrgeiz am Werk ist, wird nicht richtig studiert. Wenn das Schielen auf die Erfolge anderer neidig macht, werden die sozialen Beziehungen vergiftet. Wenn es nur um Geld und Macht geht, wenn alles nur eine Frage der Technokratie und Bürokratie ist, wenn wir unser Leben auf das Habenmüssen und auf den Konsum reduzieren, dann führt das zur Auflösung individueller Einmaligkeit, zur Ver­hexung zwischenmenschlicher Beziehungen, zur Destruktion ökologi­scher Grundlagen. Es gibt auch in unserer Gesellschaft einen verordneten Verzicht auf Sinn und Religion. Weisheit, Studium, Bildung sollen zum guten Leben führen, nicht in Oberflächlichkeit versanden, nicht eindimensional werden, nicht für egoistische Zwecke instrumentalisiert werden.

Ideologie und Unterscheidung

Bildungsarbeit soll helfen, barbarische, gott- und menschenverachtende Ideologien zu durchschauen. Ideologien sind falsche Bilder vom Menschen und seiner Welt, Bilder vom Menschen, wenn Würde oder Verachtung zu einer Frage des Geschmacks und der Laune verkommen, Leben oder Tod zur Frage des besseren Durchsetzungsvermögens wird, Wahrheit oder Lüge eine Frage der besseren Taktik, Liebe oder Hass eine Frage der Hormone, Friede oder Krieg eine Frage der Konjunktur. Konstitutiv für Ideologie in der negativen Prägung des Begriffes ist es, dass sie ein „besonderes Interesse als allgemeines“[2] darstellt. Bildung soll jenseits von Fundamentalismus und permissiver Gleichgültigkeit zur Unterscheidung der Geister verhelfen, zu einer Urteilskraft im persönlichen, aber auch im politischen Bereich. Dabei geht es um ein Sensorium, Entwicklungen, die im Ansatz schon da sind, aber noch durch Vielerlei überlagert werden, vorauszufühlen. Sie blickt hinter die Masken der Propaganda, hinter die Rhetorik der Verführung, sie schaut auf den Schwanz von Entwicklungen. Bei der Unterscheidung der Geister geht es um ein Zu-Ende-Denken und Zu-Ende-Fühlen von Antrieben, Motiven, Kräften, Strömungen, Tendenzen und möglichen Entscheidungen im individuellen, aber auch im politischen Bereich. Was steht an der Wurzel, wie ist der Verlauf und welche Konsequenzen kommen heraus? Entscheidend ist positiv die Frage, was auf Dauer zu mehr Trost, d.h. zu einem Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe führt. Negativ ist es die Destruktivität des Bösen, das vordergründig unter dem Schein des Guten und des Faszinierenden antritt. Bildung soll so gesehen ein Frühwarnsystem aufbauen und eine Stärkung des Immunsystems gegenüber tödlichen Viren sein.

Erwachsen glauben

Papst Benedikt XVI. hat angesichts der damaligen Situation gefordert, im Glauben erwachsen zu werden. „Wir sind gerufen, um wirklich Erwachsene im Glauben zu sein. Wir sollen nicht Kinder im Zustand der Unmündigkeit bleiben. Was heißt, unmündige Kinder im Glauben sein? Der hl. Paulus antwortet: Es bedeutet, „ein Spiel der Wellen zu sein, hin- und hergetrieben von jedem Widerstreit der Meinungen.“ (Eph 4, 14) Erwachsen glauben, das heißt, dass er seine Verantwortung nicht infantil delegiert, nicht an die anderen, nicht an das Volk. Für einen erwachsenen Glauben ist die Freundschaft mit Jesus zentral: „Erwachsen ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und der letzten Neuheit folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist.“ (Benedikt XVI.).[3]

Wer erwachsen glaubt, ist nicht mehr infantil und auch nicht pubertär. Infantil ist der, der es sich mit keinem vertun will, weil er Angst vor Liebes- und Sympathieentzug hat und sich nicht getraut, jemandem zu widersprechen. Infantile vermeiden in ihrer Suche nach Harmonie jeden eigenen Standpunkt. Sie gehen ständig Symbiosen ein, sind jedoch unfähig zu Beziehungen unter freien und erwachsenen Menschen. Im Alltag äußert sich das im nicht fragen, nicht fordern, nicht zugreifen Können und im nicht nein sagen Können. Pubertär sind bloße Neinsager. Viele Nein-Sager haben keinen Humor, sie können nicht über sich selbst lachen, sie sind kampfwütig verbissen. Das Nein ist nekrophil, wenn es aus dem Hass oder aus einer hochmütigen Abwehrreaktion kommt. Erwachsen sind auch nicht die Wendehälse. Die Wendehälse sind überall dabei, die Widersprüche gehören zum System. Im Zeitalter des kulturellen Pluralismus neigen nicht wenige dazu, die widersprüchlichsten Auffassungen im Bereich der Ethik oder Religion gelten zu lassen. Wer an dieser unterschiedslosen Liberalität, an dieser schlechten Gleichheit Anstoß nimmt, gilt als intolerant.

Im Glauben nimmt der Christ teil an der Vorliebe Gottes für Mensch und Welt. Glauben ist Hören und Annehmen des endgültigen Ja Wortes, der irreversiblen Zusage. Die christliche Botschaft ist eine Chiffre für schöpferische Lebensfreundlichkeit. Glaube als freies Antwortgeschehen auf die Selbstmitteilung Gottes ist der Mitvollzug dieser Option Gottes für Mensch und Welt. Er schließt eine Option und eine Lebenswahl ein. Es bedeutet – um des Ja willen – auch Abschied und Absage. Die Kraft der Entscheidung für das Reich Gottes zeigt sich im Mut zum Nein gegenüber Götzen, dem Mammon (Mt 6,19-21), gegenüber kollektiven Egoismen, zerstörenden Mächten, Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Ein Gebot der Stunde ist die Unterscheidung der Geister (1 Thess 5,21; 1 Joh 4,1) zwischen fanatischen und zerstörerischen bzw. erlösenden und befreienden Gottesbildern, zwischen Jesus Christus und Verführern, zwischen dem Geist und dem Ungeist.


Fußnoten:

[1] Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, 46 art 2 und 3.; vgl. Otto Hermann Pesch, Thomas von Aquin. Größe und Grenze mittelalterlicher Theologie, Mainz 1988, 254ff.

[2] Karl Marx, Die Deutsche Ideologie (1845/46), in: MEW 3, 48. Vgl. zum Ideologiebegriff: Richard Schaeffler, Ideologiekritik als philosophische und theologische Aufgabe, in: ThQ 155 (1975) 97-116; Bernhard Welte, Ideologie und Religion, in: CGG 21, 79-106; Walter Kern, Kirche im Horizont der Ideologiekritik, in: Ders., Disput um Jesus und um Kirche, Innsbruck 1980, 156-190; U. Dierse, Art. Ideologie, in: HWP 4, 158 – 185.

[3] Josef Kardinal Ratzinger bei der „Missa pro eligendo papa“ (Hl. Messe zur Wahl des Papstes) am 18.4.2005.

Warum ich gerne ein Idiot bin

In „Idiota de sapientia“ (Der Laie über die Weisheit, 1450) untersucht Nikolaus von Kues in dialogischer Form das Wesen der Weisheit und die menschliche Fähigkeit, sie zu erlangen. Der Text ist Teil einer Reihe von Dialogen, in denen ein einfacher, ungelehrter Mann (der „Idiota“) mit einem gebildeten Gesprächspartner (einem Gelehrten) diskutiert. Der Idiota verkörpert intuitive Einsicht und praktisches Denken, während der Gelehrte das formale Wissen und die scholastische Methode repräsentiert.

Hauptthemen und Inhalte:

1. Die Quelle der Weisheit

Nikolaus stellt die Frage, was wahre Weisheit ist und woher sie stammt. Der Idiota argumentiert, dass Weisheit nicht durch Bücher oder gelehrtes Wissen erlangt wird, sondern durch die natürliche Fähigkeit des menschlichen Geistes, die Wahrheit zu erkennen.

Weisheit ist eine Gabe Gottes, die in jedem Menschen angelegt ist. Sie zeigt sich durch Einsicht, praktische Klugheit und ein Leben in Harmonie mit der göttlichen Ordnung.

2. Der Unterschied zwischen Weisheit und Gelehrsamkeit

Der Idiota kritisiert die Gelehrten, die oft in abstrakten Konzepten und formalen Disputen verstrickt sind, ohne die essenzielle Wahrheit zu erreichen.

Weisheit ist keine Frage des umfangreichen Wissens, sondern des Verstehens der Dinge in ihrem wahren Wesen. Praktische Erfahrung und inneres Streben nach Wahrheit sind wichtiger als reine Theorie.

3. Die Rolle der Intuition

Nikolaus betont die Bedeutung der Intuition für das Verstehen. Der Idiota erklärt, dass die Erkenntnis der Wahrheit nicht allein durch logisches Denken erfolgt, sondern durch eine direkte, intuitive Einsicht.

Diese Einsicht ist ein Weg, Gott näherzukommen, da die höchste Weisheit in der Erkenntnis der göttlichen Wahrheit liegt.

4. Das Gleichnis von der Münze

Der Idiota verwendet das Bild einer Münze, um Weisheit zu erklären. Die Münze hat einen inneren Wert, der durch äußere Prägungen nicht verändert wird. Ebenso besitzt der Mensch eine innere, von Gott gegebene Weisheit, die unabhängig von äußeren Einflüssen ist.

5. Das Ziel der Weisheit

Die höchste Form der Weisheit ist, das eigene Leben im Einklang mit der göttlichen Ordnung zu gestalten.

Ein weiser Mensch erkennt, dass wahres Glück in der Gemeinschaft mit Gott und der Harmonie mit der Welt liegt.

„Idiota de sapientia“ ist ein Appell an die Einfachheit des Denkens und das Vertrauen in die innere Einsicht. Es zeigt die Überzeugung des Cusanus, dass wahre Weisheit eine Brücke zwischen Mensch und Gott schlägt und über die Grenzen des reinen Verstandes hinausgeht.

Auch passend zum Thema:

Der Geist der Weisheit

Predigt von Bischof Dr. Manfred Scheuer bei der Zeugnisfeier für die Absolvent:innen des Theologischen Fernkurses in Puchberg am 13.09.2024

Nikolaus von Kues (1401–1464) war ein Universalgelehrter, der als Philosoph, Theologe und Kardinal die Brücke zwischen Mittelalter und Neuzeit schlug. Mit seiner Lehre von der „gelehrten Unwissenheit“ und dem „Zusammenfall der Gegensätze“ inspirierte er Generationen. Er suchte nach Einheit in Vielfalt und setzte sich für Toleranz zwischen Religionen ein. Seine Vision von Gott als unendlicher Einheit prägt sein Denken. Nikolaus bleibt ein Wegweiser für die, die sich den großen Fragen des Lebens stellen.

Harald Preyer ist systemischer Coach und geistlicher Begleiter in Wien, der Menschen in herausfordernden Lebensabschnitten begleitet. Sein Anliegen ist es, Brücken zwischen Denken, Glauben und Menschlichkeit zu bauen. Dankbarkeit ist für ihn dazu ein wertvoller Schlüssel.

Das traurige Mädchen und das Blumenbild

Hans Thoma (1839 – 1924), Auf einer Waldwiese, 1876, Hamburger Kunsthalle. Thomas Braut Cella war das Modell der weiblichen Figur im Bild.

Dieses Bild habe ich vor Jahren im Coaching mit einer jungen Frau benützt, die tief traurig zu mir kam und meinte: „Jetzt ist meine Mutter gestorben und ich konnte gar nicht mehr mit ihr klären, was mich an ihren Aussagen so traurig gemacht hat.“

Ich fragte Sie: „Was denn?“ Und sie erzählte mir, dass ihre Mutter ihr manchmal ein Bild von einem Mädchen in einer blühenden Sommerwiese beim Blumenpflücken gezeigt habe und sich dann gewünscht habe, dass sie so wäre, wie dieses Mädchen auf dem Bild. Sie sei aber rothaarig, klein und etwas rundlicher…

Ich überlegte kurz, suchte dieses Bild und meinte dann: „Vielleicht hat Ihre Mutter gemeint, sie wünscht ihnen, dass ihre Heuschnupfen-Allergie, von der sie mir erzählt haben, möglichst bald vorbei sei, damit Sie wie das Mädchen im Bild auf der blühenden Wiese auch einen schönen Blumenstrauß pflücken können…“

Die junge Frau richtete sich auf, strahlte mich an und meinte unsicher mit einem Hauch von Hoffnung in den fröhlicher werdenden Augen: „Meinen Sie wirklich? So habe ich das noch gar nie betrachtet…?“ Ich sagte nur: „Ich weiß es nicht, aber vermutlich war es so. Wir können ihre Mutter beide nicht mehr fragen aber wir können daran glauben, dass sie es so gemeint hat.“

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Die vereinzelten Antisemitismus – Vorwürfe gegen Hans Thoma sind mir bekannt. Ich schließe mich allerdings der Meinung an, dass sein Oeuvre für die NS Propaganda missbräuchlich verwendet wurde.

Letztes Abendmahl und Fußwaschung

Wie sehr sich das Johannesevangelium von den Synoptikern abhebt, zeigt sich insbesondere an der Fußwaschung Joh 13, 1–20. Während diese das Letzte Abendmahl als Pessachfeier mit Einsetzung der Eucharistie als Feier des Neuen Bundes inszenieren, verortet jenes deren Ursprung im Zusammenhang der Speisung der Fünftausend in Joh 6. Dort heißt es zwar, das Pessach sei nahe gewesen (V. 4), doch die direkte Verbindung zur Passion ist dort nicht gegeben. Was dies für die Eucharistie in johanneischer Sicht bedeutet, zeigt Ludger Schenke im entsprechenden Kapitel seiner Rekonstruktion der Entstehung des Johannesevangeliums.

Gehen wir der Bedeutung nach, die bei Johannes die Fußwaschung als sakramentale Zeichenhandlung gewinnt. Sie greift erkennbar Jesu Reaktion auf den Rangstreit der Jünger auf: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ (Mk 9, 35) Indem der johanneische Jesus dies durch sein Handeln beim Abschiedsmahl geradezu ins Absurde steigert, deutet er seine Passion voraus und erhebt das Dienen zu seinem Vermächtnis. Gregor der Große (590–604) hat das verstanden, als er sich Diener der Diener Gottes (servus servorum Dei) nannte – die Formel, mit der Päpste bis heute offizielle Dokumente unterschreiben. Im Johannesevangelium gipfelt darin die Dynamik des Prologs, die zentral vom Abstieg Gottes des Logos geprägt ist; über die mehrfache Andeutung der paradox gemeinten Erhöhung (3, 14; 8, 28; 12, 32) und die Fußwaschung führt eine gerade Linie bis zum lapidaren „Vollbracht“ des sterbenden Logos am Kreuz (19, 30). So eindrücklich das Zeichen, so sehr geht es um die Haltung; um das Tun des Unwahrscheinlichen, Unerwarteten, das eingefahrene Gewohnheiten durchbricht und gerade so göttliches Licht hereinlässt.

Quelle: Magnificat – das Stundenbuch vom August 2024, Editorial von Johannes Bernhard Uphus.

Letztes Abendmahl und Fußwaschung, Perikopenbuch Heinrichs II., Reichenau, Anfang 11. Jahrhundert, Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 4452, fol. 105v, © Bayerische Staatsbibliothek München

Gemeinschaft mit dem Herrn
Im Perikopenbuch Heinrichs II. ist der Evangelienabschnitt Joh 13, 1–15 mit dem Festtitel „IN CAENA DNI“ (beim Mahl des Herrn) überschrieben und wird mit einer großen S-Initiale eingeleitet, da der Text im Lateinischen mit „Sciens Jesus, quia venit eius hora“ beginnt (Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, Joh 13, 1). Im aufgeschlagenen Buch links von diesem Beginn des Gründonnerstagsevangeliums zeigt der Codex eine ganzseitige Miniatur mit der Darstellung des Abendmahles (oben) und der Fußwaschung (unten, unser Titelbild).
Mahl und Fußwaschung
Das Johannesevangelium unterscheidet sich von den anderen drei (synoptischen) Evangelien bei der Schilderung der Geschehnisse am Gründonnerstag unter anderem dadurch, dass das Mahl Jesu mit seinen Jüngern zwar vorausgesetzt (vgl. Joh 13, 2.4), aber nicht ausführlich geschildert wird. In der liturgischen Feier am Gründonnerstag wird deshalb vor dem Evangelium 1 Kor 11, 23–26 mit der paulinischen Überlieferung des Abendmahls gelesen. Johannes legt viel größeren Wert auf die Fußwaschung und auf die sogenannten Abschiedsreden Jesu. Die synoptischen Evangelien hingegen erwähnen die Fußwaschung mit keinem Wort.
Der Maler unserer Miniatur scheint die Abfolge der Ereignisse aber umgedreht zu haben: Eine Reinigung der Füße fand im Vorderen Orient natürlich vor dem Mahl statt, nicht danach, jedoch schildert Johannes etwas uneindeutig, dass Jesus vom Mahl aufstand, um den Jüngern die Füße zu waschen (vgl. Joh 13, 4), auch wenn das eigentliche Mahl (ohne Einsetzungsworte) auch bei Johannes danach anklingt (vgl. Joh 13, 26).
Anteil haben am Herrn
Mahl und Fußwaschung haben eine zentrale inhaltliche Verbindung: Es geht um die Anteilhabe am Herrn, um die Gemeinschaft mit ihm. Auf der einen Seite durch die Gemeinschaft mit ihm im Mahl, durch die Teilhabe an Jesu Selbsthingabe unter den Zeichen von Brot und Wein als Vorausdeutung seines Kreuzestodes als Erlösung für die Vielen (vgl. Mk 14, 24). Auf der anderen Seite durch den Dienst der Fußwaschung mit der Implikation, dass wir Gemeinschaft mit dem Herrn haben können, wenn wir anderen dienen.
Die beiden auf der Innenkarte dargestellten Szenen zeigen einige Besonderheiten:

Jesus sitzt etwas ungemütlich, auch wenn sein thronartiger Sitz mit einem Polster und einem gesäumten Tuch bedeckt ist. Hier spürt man noch eine antike Bildvorlage, welche die Mahlgemeinschaft um den Tisch liegend zeigte, mit dem Hausherrn links am Kopf der Tafel. Er hält eine Buchrolle in der Hand, schaut seine Jünger an und spricht zu ihnen: „Einer von euch wird mich ausliefern“ (Joh 13, 23). Alle Augen sind voller Spannung auf ihn gerichtet. Auf dem Tisch sehen wir Brote, zwei Kelche, eine Schale mit einem Fisch, zwei Messer, einen Krug, aber der Kelch zwischen Jesus und Judas bildet mit der Hand des Judas darüber ziemlich genau die Mitte des oberen Teiles der Miniatur. Denn die Hand des Judas ist es, die den von Jesus eingetauchten Bissen Brot nimmt und so den Verräter verrät.Oben findet das Mahl in einer Säulenhalle mit einer grünen Stoffbahn als Dekoration statt (beide Szenen sind von Goldgrund hinterfangen). Der ovale Tisch mit langem, weißem Tischtuch bildet die Mitte, um die sich die Apostel gruppieren, jedoch in sehr verschiedener Weise: Acht Apostel, an der Spitze Petrus ganz links, sitzen auf einer Bank, die rechts herausschaut, hinter dem Tisch. Ein Apostel (es ist Judas) sitzt auf einem Faldistor (Klappstuhl) vollkommen isoliert vor dem Tisch; er wirkt sehr klein und muss hoch zu Jesus hinaufschauen. Auf ihn werden wir später noch eingehen. Zwei kommen von links und bringen einen Kelch und einen Krug zum Tisch.
Jesus sitzt etwas ungemütlich, auch wenn sein thronartiger Sitz mit einem Polster und einem gesäumten Tuch bedeckt ist. Hier spürt man noch eine antike Bildvorlage, welche die Mahlgemeinschaft um den Tisch liegend zeigte, mit dem Hausherrn links am Kopf der Tafel. Er hält eine Buchrolle in der Hand, schaut seine Jünger an und spricht zu ihnen: „Einer von euch wird mich ausliefern“ (Joh 13, 23). Alle Augen sind voller Spannung auf ihn gerichtet. Auf dem Tisch sehen wir Brote, zwei Kelche, eine Schale mit einem Fisch, zwei Messer, einen Krug, aber der Kelch zwischen Jesus und Judas bildet mit der Hand des Judas darüber ziemlich genau die Mitte des oberen Teiles der Miniatur. Denn die Hand des Judas ist es, die den von Jesus eingetauchten Bissen Brot nimmt und so den Verräter verrät.

Auch die Fußwaschung findet in einem Innenraum statt, der durch zwei Säulen gekennzeichnet ist. Ein roter Vorhang (als liturgische Farbe ist für den Gründonnerstag rot damals am meisten bezeugt) ist an den Säulen hochgebunden. Jesus steht frei vor dem Goldgrund, mit dem im Text genannten umgebundenen Leinentuch (vgl. Joh 13, 4), und spricht mit weit ausgestreckter Rechten zu Petrus. Dieser hat von einem großen hölzernen Sitz aus den linken Fuß in eine große Wasserschale gesenkt, sodass er die Wasserfläche gerade berührt. Die Hände aber streckt er zu Jesus aus. Beide schauen einander an. Es ist also offensichtlich der Moment gewählt, in dem Jesus sagt: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13, 8) und Petrus einwilligt. Zehn weitere Apostel stehen hinter Petrus summarisch gestaffelt.
 
Die rätselhafte Figur das Judas
Ganz rechts ist ein junger Mann zu sehen, der seinen linken Fuß auf ein Podest gestellt hat und die Schnüre seiner Sandalen löst (alle anderen Personen sind auf der Miniatur ohne Schuhe dargestellt). Dahinter steht die antike Figur des Sandalenlösers, die auch in anderen ottonischen und Reiche­nauer Miniaturen der Fußwaschung anklingt (vgl. MAGNIFICAT Heilige Woche 2015). Da es aber ohne diesen nur e1f Apostel wären und Judas bei der Fußwaschung noch anwesend war (vgl. Joh 13, 2.11), ist hiermit wahrscheinlich Judas gemeint. Aus der Aussage Jesu „wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13, 8) folgerte schon die antike Theologie (Origenes), dass Judas nicht die Füße gewaschen bekommen konnte. Aus diesem Grund ist Judas hier wahrscheinlich in dieser rätselhaften Weise als Sandalenlöser dargestellt. Noch isolierter als in der oberen Szene, Jesus die kalte Schulter zeigend und sich fast hinter der Säule versteckend, ist er nicht Teil der Gemeinschaft, hat er keinen Anteil am Herrn und schaut doch sehnsuchtsvoll zur Mitte des Geschehens. 
 
Quelle: Magnificat – das Stundenbuch vom August 2024, Das Bild im Blick, Heinz Detlef Stäps

Mein Herr und mein Gott!

Der Zweifel des Apostels Thomas: Eine Reflexion über Vertrauen und Glaube

Am 3. Juli feiern wir das Fest des Apostels Thomas, bekannt als der Zweifler. Thomas‘ Geschichte ist eine Erzählung von Skepsis und der Suche nach Wahrheit, die auch heute noch viele Menschen anspricht. Thomas musste sich persönlich davon überzeugen, dass Jesus lebt, um an die Auferstehung zu glauben. „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh 20,25).

Acht Tage nach dieser Äußerung erschien Jesus seinen Jüngern erneut, diesmal war Thomas dabei. Die Szene, die das Evangelium beschreibt, ist ergreifend: „Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,26-29).

Der ungläubige Thomas, Caravaggio, 1601–1602
Palais in Sanssouci, Potsdam
Öl auf Leinwand, 118 × 156,5 cm

In der Kunst wird diese Szene oft dramatisch dargestellt, wie etwa bei Caravaggio, der Thomas zeigt, wie er seinen Finger in die Wunde Jesu legt. Doch der Text selbst spricht nicht davon, dass Thomas Jesus tatsächlich berührt. Es scheint vielmehr, dass die bloße Anwesenheit Jesu, seine warme Stimme und das direkte Eingehen auf Thomas‘ Zweifel genug waren, um den Apostel zu überzeugen. Die Einladung Jesu, die Narben zu berühren, könnte als symbolische Geste verstanden werden, die Thomas zeigte, dass sein Zweifel ernst genommen wurde.

Dieses Erlebnis führte zu einem der schönsten und kürzesten Glaubensbekenntnisse in der Geschichte des Christentums: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28). Diese Worte sind ein Zeugnis für die transformative Kraft von Begegnungen, die sowohl Kopf als auch Herz berühren.

Die Geschichte von Thomas zeigt, dass es beim Glauben nicht nur um physische Beweise geht. Es geht um die Berührung des Geistes und des Herzens, um Vertrauen, Empathie und Einfühlungsvermögen. In einer Welt, die oft von Skepsis und Zweifel geprägt ist, erinnert uns Thomas daran, dass wahre Überzeugung oft aus dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Verbindung und Verstehen entsteht.

Thomas‘ Zweifel und seine schlussendliche Erkenntnis lehren uns, dass es in Ordnung ist, Fragen zu stellen und Beweise zu suchen. Gleichzeitig zeigt uns seine Erfahrung, dass der Glaube oft über das hinausgeht, was wir sehen und anfassen können. Es ist die Begegnung mit dem Heiligen, das direkte Eingehen auf unsere Zweifel und die persönliche Berührung, die unser Vertrauen und unseren Glauben stärken.

Am Fest des Apostels Thomas erinnern wir uns daran, dass der Weg zum Glauben durch Zweifel führen kann und dass das tiefste Glaubensbekenntnis oft aus der Berührung des Herzens und des Geistes entsteht. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben – aber auch die, die durch ihre Zweifel und Fragen zu einem tieferen, persönlicheren Glauben finden.