Teddy – der bessere Trauerredner

Es gibt Momente, da werde ich von unserem Hund Teddy unterrichtet – ohne dass er es weiß. Während ich als Trauerredner immer wieder versuche, Worte für das Unfassbare zu finden, lebt Teddy einfach. Er läuft über eine Wiese, schnuppert, spürt den Boden, das Gras, den Wind. Für ihn zählt nur dieser Augenblick. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nur Hier und Jetzt.

von Harald Preyer

Der Hund, der den Tod nicht kennt

Teddy weiß nicht, dass auch seine Tage einmal enden werden. Er reflektiert nicht über Sterblichkeit, hat kein theologisches Konzept von Auferstehung, keine metaphysischen Zweifel. Und doch liegt darin eine Stärke, die ich als Mensch oft vermisse: Die Fähigkeit, ganz im Moment zu sein. Während wir Menschen über Vergangenheit grübeln und die Zukunft fürchten, lebt er – voll und ganz – im Jetzt.

Die Kraft der Gegenwart

Als Trauerredner werde ich oft gefragt, worauf es bei einer Abschiedsfeier wirklich ankommt. Sind es die „richtigen Worte“? Die Philosophie? Die biblischen Bilder? Ja – aber nicht nur. Was wirklich zählt, ist das, was ich von Teddy gelernt habe: Präsenz. Ich muss da sein. Warmherzig, zugewandt, achtsam. Wer trauert, erinnert sich an die Stimme, den Blick, die Geste. Die feinen Zwischentöne.

Teddy sucht nicht nach „perfekten Formulierungen“. Er legt den Kopf auf meinen Schoß. Er ist einfach da. Und genau das tue ich als Redner auch: Ich halte den Raum, in dem die Trauer der Menschen ihren Platz findet.

Zwischen Theorie und Herz

Sicher, ich habe Philosophen und Theologen gelesen. Ich kann den Unterschied zwischen Heideggers „Sein zum Tode“ und Viktor Frankls „Selbsttranszendenz“ erklären. Doch das Fundament meiner Arbeit ist nicht die Theorie. Es ist das stille Verstehen. Die Einladung an die Hinterbliebenen: „Ich bin jetzt da – für euch, mit euch.“

In meinen Reden spiegelt sich diese Haltung wider: Ich erzähle Geschichten, lasse Bilder entstehen, beschreibe Gerüche, Lichter und Geräusche – so, wie Teddy sie erleben würde. Nicht, um zu „beeindrucken“, sondern um zu berühren. Damit die Erinnerung an den Verstorbenen mehr bleibt als eine Aneinanderreihung von Fakten.

Von Mensch und Tier

Vielleicht sind wir Menschen zu oft Gefangene unserer Gedanken, unserer Angst vor dem Unbekannten. Teddy hingegen lehrt mich Gelassenheit. Er zeigt mir, dass Leben mehr sein kann als nur Grübeln und Planen. Und dass es in der Trauer weniger auf „kluge Worte“ ankommt – sondern auf echte, liebevolle Präsenz.

Wenn ich also vor Trauernden stehe, denke ich manchmal an meinen Hund. Und daran, dass auch wir Menschen Momente brauchen, in denen wir nur „sind“. Im Hier und Jetzt. In aller Stille. Und in der Hoffnung. Im Vertrauen auf die Liebe Gottes.

Über den Autor

Harald Preyer ist systemischer Coach und geistlicher Begleiter. Seit seiner eigenen gut überlebten Krebsoperation im Dezember 2018 gestaltet er mit Hinterbliebenen aus Dankbarkeit christliche Abschiedsfeiern vor allem für Menschen, die an Gott glauben aber mit Kirche nichts mehr zu tun haben wollen. Er ist selbst gläubiger Katholik und dient jeden Sonntag um 12:00 Uhr als Lektor und Kommunionspender im Wiener Stephansdom. Nach der Heiligen Messe führt er oft Trauernde hinauf zur Orgelempore, wo sie im Blick in die Weite in Richtung Hochaltar nicht selten den Verstorbenen spüren. In der Branche kennt man ihn als den „Vater-Unser-Redner mit dem Chow Chow.“

Lied vom Regenbogenkreuz

Altarkreuz der Dormitio-Abteikirche auf dem Zionsberg in Jerusalem auf dem Kreuz vom Sinai
Fotos: Kerstin Rehberg-Schroth


Unsere Hoffnung gründet in der Liebe,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Vor unsren Augen steht der Regenbogen,
Treue von Gott für Noah und für uns.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Unsere Sehnsucht gründet in der Treue,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Zwölfzahl der Stämme, Enden eines Kreuzes,
Israels Bund, im Sinai verbürgt.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Herr, unser Friede gründet in der Botschaft,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Balken des Kreuzes, Auferstehung Christi,
Zeichen der Liebe, die Versöhnung schenkt.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Lied vom Regenbogenkreuz (Dormitio Jerusalem)
Verfasserschaft unbekannt

Was lässt sich über das Leben sagen, Franz Schuh?

Franz Schuh, *1947, Philosoph, Schriftsteller und Essayist, zuletzt erschienen »Ein Mann ohne Beschwerden« (Zsolnay)

Was gilt im Leben absolut? Umsonst ist nur der Tod, heißt es im Wienerischen Jargon, und der kostet das Leben. Das Absolute ist die theologisch-philosophische Überhöhung dessen, was man in der irdischen Gesellschaft »das Unverhandelbare« nennen kann. Das Absolute für uns Menschen – als Einzelne und im Kollektiv – ist die Endlichkeit des Lebens, die schlichte Tatsache, dass das Leben vorübergeht.

Ein einziges Mal wurde ich in meiner auf der Hand liegenden These über das Absolute unsicher. Das war bei einem Symposion über das Werk von Elias Canetti. Da sprang Vilém Flusser auf, der 1991 verstorbene Medien-Philosoph, ein Technikfreak, und wies alles, was im Sinne Canettis über den Tod zu sagen ist, weit von sich. Je mehr, sagte Flusser, ich hier zuhöre, desto unsympathischer wird mir dieser Canetti, und er stellte in Aussicht, der Tod wäre nichts Absolutes, sondern die Menschheit würde schließlich eine technische Lösung finden, um ihn zu überwinden. Die Unsterblichkeit jenseits der Transzendenz, das nenne ich technikaffin: Unsterblich im Leben, was für eine Dr. Frankenstein-Innovation.

Meine These lautet, dass der Tod das einzig Absolute ist. Das rückt das Sterben und seine zu erreichende Würde an die Spitze der Bestenliste unserer Existenz: Wir müssen was tun, wir müssen handeln, um das Sterben, zum Beispiel im Krieg, nicht empathielos zu einer Routine, zum Alltag werden zu lassen. Wir sollten Hospize einrichten und keine Abschussrampen bauen.

Aber so ein »Wir« gibt es nicht. Irgendetwas müsste mit den Ersatzformen des Absoluten passieren, was sicher nicht passiert: Der Nationalismus, der religiöse Fundamentalismus, die Gier nach Macht, die Habgier, die (selbst-)mörderische Leidenschaftsliebe, der Hass auf den Nachbarn und so weiter – diese beliebten, scheinlebendig machenden, überwertigen Motivationen werden das Leben der Vielen (und ihrer Institutionen) ad infinitum, ausfüllen.

Dagegen berühmte Zeilen aus einem Brecht-Gedicht: »Wenn die Irrtümer verbraucht sind / Sitzt als letzter Gesellschafter / Uns das Nichts gegenüber.« Anschauungsunterricht dafür bietet eine Fernsehsendung des ORF. Sie heißt »Goldener Herbst – Legenden reden über’s Leben«. Das könnte die schlimmste mediale Formatierung sein: »Legenden«, also sogenannten Prominenten das letzte Wort »über’s Leben« zu überlassen. Es ist die totale Selbstbespiegelung des Mediums, das ja entscheidet, wer prominent ist und wer.

Wie im Leben gibt der ehemalige Operndirektor Ioan Holender gleich zu Anfang der Sendung den Ton an. »Goldener Herbst«, das sei ein schöner Titel, es könnte ja auch heißen »früher Winter« – aber, sagt Holender, »nach dem Herbst kommt noch was, nach dem Winter kommt nichts«. Das ist – nach meiner Meinung – die tröstliche, aber auch vertröstende, melancholisch-ironische Variante, den Tod durch eine Redeweise ins Leben mit einzubeziehen.

Eine andere Redeweise ist erstaunlich, sie stammt von Ernst Bloch und lautet, aus dem Gedächtnis zitiert: »Der Tod – eine Erfahrung, die ich auch noch machen möchte.« Bloch war ein Atheist, ans ewige Leben, an irgendeine Art von Leben nach dem Tod, hat er nicht geglaubt. Er hat mit der willkommenen Erfahrung schlicht das Sterben selbst gemeint, auf das er neugierig ist.

Ich glaube, diese Reaktion einer zustimmenden, einverstandenen Neugier ist die einzige Möglichkeit (auch die einzig lebensbejahende), um dem Tod seine gnadenlose Absolutheit zu nehmen. Ob das in den entscheidenden Augenblicken funktioniert – na, schau mer mal.

Quelle: Gemischter Satz, Der Newsletter der ZEIT Österreich • 47/2024