🕊 TAO Tag 83 – Abschied und christliche Perspektive 🕊

„Gehe den Pfad gemeinsam, solange du kannst, und wenn eine Trennung unvermeidlich ist, halte deinen Gefährten nie ab.“

Ein schöner Gedanke aus dem Taoismus: Abschied gehört zum Leben. Menschen begleiten uns eine Zeit lang auf unserem Weg – manchmal für viele Jahre, manchmal nur kurz. Und dann trennen sich die Wege. Oft bleibt bei uns eine Mischung aus Schmerz, Schuldgefühlen oder Fragen zurück.

Feder

Als christlicher Begleiter erkenne ich: Auch Jesus selbst hat diese Gefühle gekannt. Er hat getrauert, geliebt und losgelassen. Seine Menschlichkeit zeigt uns: Trauer ist kein Mangel an Glauben – sie ist ein Ausdruck unserer Liebe.

Doch wir dürfen zugleich Hoffnung aus unserem Glauben schöpfen, denn:
„Christus hat dem Tod den Stachel gezogen.“
(vgl. 1 Kor 15,55–57)

Der Tod bleibt eine Wirklichkeit, aber er hat nicht mehr das letzte Wort. Die Auferstehung Jesu schenkt uns Zuversicht, dass das Leben weitergeht – in Gott.

Wir dürfen weinen und hoffen zugleich.

Was hat euch geholfen, in Zeiten des Abschieds Trost zu finden? 💬

Gespräche über den Tod

Warum über den Tod sprechen?

Viele Menschen vermeiden es, zu Lebzeiten über den Tod zu sprechen. Doch wer sich rechtzeitig mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzt, schenkt sich selbst und seinen Angehörigen Klarheit und Entlastung. Ein offenes Gespräch über den Tod kann helfen, Ängste zu reduzieren, den eigenen Abschied bewusst zu gestalten und Frieden mit dem Thema zu finden.

Wann und mit wem?

Besonders wertvoll sind diese Gespräche in der Familie, mit Partnerinnen und Partnern, mit Kindern oder engen Freunden. Auch in schwierigen familiären Situationen können sie Brücken bauen und Versöhnung fördern.

Wichtige Fragen für ein solches Gespräch:

  • Was ist mir im Leben und im Sterben wichtig?
  • Welche Musik, welche Worte oder Rituale wünsche ich mir für meinen Abschied?
  • Wo möchte ich einmal beerdigt werden?
  • Gibt es Menschen, die ich um Verzeihung bitten oder mit denen ich mich versöhnen möchte?
  • Was möchte ich meinen Angehörigen hinterlassen – materiell und immateriell?

Mein Angebot für Sie

Als systemischer Coach und Trauerredner biete ich an, solche Gespräche zu moderieren und zu begleiten. In einem geschützten Rahmen helfe ich Ihnen, Worte zu finden, die gut tun und Verbindungen stärken.

Christliche Perspektive

Im christlichen Glauben ist der Tod nicht das Ende, sondern der Übergang in die Gemeinschaft mit Gott. Offene Gespräche über das Sterben helfen uns, dieses Vertrauen zu vertiefen und den Abschied in Liebe zu gestalten.

 

Inspirierend

Auf der evangelischen Seite chrismon.de finde ich als Katholik immer wieder inspirierende Texte für meine Arbeit. Hier ein sehr einfühlsamer Text von Lucia de Paulis über die Auswahl eines stimmigen Begräbnisortes. (24.10.2022, 9 min).

Waldruh oder Seebestattung? 

Die Mutter will ihren Bestattungsort aussuchen. Die Tochter begleitet sie und merkt – das ist gar nicht gruselig

 

Heimgang des Heiligen Benedikt

Homilie von Probst von Herzogenburg Petrus Stockinger Can. Reg. am Benediktusfest, 21. März 2025 gehalten in Stift Göttweig

In unserer heutigen Welt scheint der Tod oft verdrängt, das christliche Verständnis von Leben und Sterben verloren gegangen. Gerade angesichts der aktuellen Diskussionen um die Gesundheit von Papst Franziskus wird deutlich, wie fremd vielen Menschen der Gedanke geworden ist, dass der Tod nicht das Ende, sondern ein Heimgang ist.

Propst Petrus Stockinger Can. Reg. (* 11. Juli 1982 in Ried im Innkreis, Oberösterreich) ist seit dem 9. April 2019 der 69. Propst des Stiftes Herzogenburg.

Foto: Weinfranz/Stift Herzogenburg

Am Fest des Heimgangs des heiligen Benedikt hat Propst Petrus Stockinger Can. Reg. im Stift Göttweig eine Homilie gehalten, die sich eindrucksvoll und klar mit dieser Frage auseinandersetzt. In einer Zeit, in der Sterben und Tod von Unsicherheit und Verdrängung geprägt sind, lädt uns diese Predigt ein, neu über den letzten Sinn unseres Lebens und über unsere christliche Hoffnung nachzudenken.

Hier veröffentliche ich den vollständigen Text dieser Homilie – ein starker geistlicher Impuls und eine Einladung, das Thema Tod mit Hoffnung und Glauben zu betrachten. Ich habe mich bemüht, die Predigt vollständig und richtig zu transkribieren. Das Original ist mit dem Link am Ende des Textes nachhörbar.

Hochwürdigster Abt Patrick, liebe Mitbrüder des Stiftes Göttweig, liebe Schwestern und Brüder,

Die Berichterstattung, die der gegenwärtige Krankenhausaufenthalt von Papst Franziskus erfährt, ist grotesk. Sie offenbart nach meinem Dafürhalten mit bestechender Klarheit, wie sehr das christliche Verständnis von Leben und Sterben in unserer Welt geschwunden ist.

Da ist zuerst einmal die Tatsache zu vermerken, dass Papst Franziskus 88 Jahre alt ist und an etlichen Vorerkrankungen leidet. Selbst wenn er also stirbt, wird man nur schwer davon reden können, er sei plötzlich und unerwartet mitten aus dem Leben gerissen worden. Das aber ist nur eine Nebenbemerkung.

Viel schwerer wiegt die Frage: Ist denn der Tod für jeden Menschen, also auch für den Papst, wirklich das Schlimmste, was einem passieren kann? Fast scheint es so, und für viele Menschen ist es so. Wenn nach diesem Leben hier auf der Welt alles vorbei ist, dann ist der Tod eine Katastrophe.

Das wird auch nicht besser, wenn man sich, wie das heute viele Menschen tun, mit jenem unsäglichen Spruch zu trösten versucht, den man heute auf so vielen Toten- und Sterbebildchen lesen muss à la: „In unseren Herzen lebst du weiter.“ Dieser Satz ist an Fragwürdigkeit nicht zu überbieten, denn er bedeutet ja ein scheibchenweises Sterben. Wenn der letzte Mensch gestorben ist, der dich noch gekannt und geliebt hat, dann bist du wirklich tot, mausetot.

Der Spruch suggeriert also nur Ewigkeit, ist aber letztlich Betrug, meist wenig durchdachter Selbstbetrug, um der Emotion willen.

Der Tod ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Diese genuin christliche Überzeugung wird hochgehalten am heutigen Fest, das die Benediktiner begehen. Es heißt: Heimgang des Heiligen Vaters Benedikt.

Heimgehen kann man nur an einen Ort, den man schon kennt. Heimfinden wird man nur, wenn man ein Ziel hat. Und von Heimgang kann man auch nur reden, wenn man eine Sehnsucht danach hat, genau dorthin zu kommen. Also: keine Heimat ohne Himmel. All das gehört zur christlichen Sicht auf den Tod dazu. Es trifft jeden Menschen, der getauft ist, bis hin zum Papst, ist aber im allgemeinen Bewusstsein anscheinend weitestgehend verloren gegangen.

Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist nicht sein Tod, sondern das Schlimmste ist wohl, in der entscheidenden Stunde feststellen zu müssen, dass man an Gott vorbeigelebt, den Sinn des Lebens verfehlt, das letzte Ziel, die ewige Heimat, nicht mit ausreichender Ernsthaftigkeit in den Blick genommen hat.

Das ist aus meiner Sicht der springende Punkt. Eine Welt, die verlernt hat, im Leben nach dem Sinn zu fragen und diesen allerletzten Sinn zu suchen – und zwar nicht als Lifestyle-Element, sondern als lebensprägenden Faktor –, kann auch den Tod nicht mehr richtig einordnen. Die Verwirrung im Leben führt auch zu einer Verwirrung im Sterben.

Und kristallisiert sichtbar wird das in diesen Tagen – und das ist eben grotesk – ausgerechnet an der Person des Papstes.

Wir wissen nicht, wie sich sein Lebensende einmal gestalten wird. Er weiß es selbst auch nicht. Niemand kennt den Tag noch die Stunde. Wir wissen nicht: Wird es ein öffentlich zelebriertes Sterben, wie bei Johannes Paul II., oder wird es ein Verlöschen in Stille, wie bei Papst Benedikt? Es geht uns letztlich auch nichts an.

Ich muss sagen: Wenngleich die Medien den derzeit an den Tag gelegten offenen Umgang der vatikanischen Stellen mit dem Gesundheitszustand des Papstes loben – mir ist das zu viel. Mir ist das zu öffentlich. Ich stelle da schon auch die Frage nach der Privatsphäre und letztlich nach der Würde, die man auch einer öffentlichen Person wie dem Papst in einer so persönlichen Lebensphase zugesteht.

Auch diverse Äußerungen mancher (römischer) Kleriker helfen da nichts. Selbst der undifferenzierte Aufruf zum Gebet ist etwas zweifelhaft. Wofür sollen wir denn beten? Dass der Papst bitte, bitte, bitte nicht sterben wolle? Das kommt mir lächerlich vor. Denn diesen Weg einmal gehen zu müssen, entspricht seiner menschlichen Natur.

Wenn uns in einer solchen Situation irgendein Gebet erlaubt, ja geboten ist, dann besteht das wohl, wie an jedem Krankenbett, in der Meditation über die Vaterunser-Bitte an den himmlischen Vater: „Dein Wille geschehe.“ Wie auch im Vertrauen auf den Beistand der Gottesmutter: „Jetzt und in der Stunde unseres Todes.“

Vieles andere kann sich rasch als fragwürdig erweisen. Und wir tun darüber hinaus am besten genau das, wozu wir heute zusammengekommen sind. Wir feiern, dass der Tod ein Heimgang ist. Wir halten dem lächerlich-grotesken Umgang unserer Zeit mit diesem Thema Gottes Aufstand aus dem Tod entgegen.

Noch dazu in unmittelbarer Nähe zum Hochfest des Heiligen Josef vor zwei Tagen, der früher oft angerufen wurde als Patron für einen guten – das heißt für einen vorbereiteten – Tod: Versöhnt mit der Welt, versöhnt mit dem eigenen Leben, versöhnt mit Gott.

Ich bin sicher: Papst Franziskus hat diese drei Parameter seines Lebens längst nach bestem Wissen und Gewissen geordnet. Damit kann auch sein Tod, wann immer er kommt, ein Heimgang sein.

Aber ein paar Schritte zurück: Wir gönnen dem Papst das Leben und sind sicher, dass sich in Gottes Plan alles gut fügen wird. Ohne eine billige „Am Ende wird schon alles irgendwie passen“-Hoffnung, wie sie heute nicht selten gepflegt wird. Nein, es ist eine Hoffnung, die begründet ist im Glauben.

Wie sagt Nelly Sachs? „Nur der Glaube kann halten, was die Hoffnung verspricht.“ Nur der Glaube kann halten, was die Hoffnung verspricht.

Überliefert ist: Sechs Tage vor seinem Tod ließ Benedikt sein Grab öffnen. Sechs Tage – das erinnert an die Schöpfungserzählung im Buch Genesis. Der Tod ist ein Ereignis des Lebens, das es in den Blick zu nehmen gilt. Benedikts Leben hatte sich so vollendet, dass er am siebten Tag in die Sabbatruhe Gottes eingehen konnte.

Der Tod ist ein Heimgang.

Nur der Glaube kann halten, was die Hoffnung verspricht.

Amen.

 

Nelly Sachs (eigentlich Leonie Sachs; geboren am 10. Dezember 1891 in Schöneberg, gestorben am 12. Mai 1970 in Stockholm) war eine deutsch-schwedische jüdische Schriftstellerin und Lyrikerin. 1966 verlieh das Nobelpreiskomitee ihr – gemeinsam mit Samuel Joseph Agnon – den Nobelpreis für Literatur „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“. 

Nachhörbar ist die Homilie im Originalton auf der Seite von Stift Göttweig. Datum: 21.3.2025.
https://www.stiftgoettweig.at/portal/de/betenarbeiten/seelsorge/predigten

Teddy – der bessere Trauerredner

Es gibt Momente, da werde ich von unserem Hund Teddy unterrichtet – ohne dass er es weiß. Während ich als Trauerredner immer wieder versuche, Worte für das Unfassbare zu finden, lebt Teddy einfach. Er läuft über eine Wiese, schnuppert, spürt den Boden, das Gras, den Wind. Für ihn zählt nur dieser Augenblick. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Nur Hier und Jetzt.

von Harald Preyer

Der Hund, der den Tod nicht kennt

Teddy weiß nicht, dass auch seine Tage einmal enden werden. Er reflektiert nicht über Sterblichkeit, hat kein theologisches Konzept von Auferstehung, keine metaphysischen Zweifel. Und doch liegt darin eine Stärke, die ich als Mensch oft vermisse: Die Fähigkeit, ganz im Moment zu sein. Während wir Menschen über Vergangenheit grübeln und die Zukunft fürchten, lebt er – voll und ganz – im Jetzt.

Die Kraft der Gegenwart

Als Trauerredner werde ich oft gefragt, worauf es bei einer Abschiedsfeier wirklich ankommt. Sind es die „richtigen Worte“? Die Philosophie? Die biblischen Bilder? Ja – aber nicht nur. Was wirklich zählt, ist das, was ich von Teddy gelernt habe: Präsenz. Ich muss da sein. Warmherzig, zugewandt, achtsam. Wer trauert, erinnert sich an die Stimme, den Blick, die Geste. Die feinen Zwischentöne.

Teddy sucht nicht nach „perfekten Formulierungen“. Er legt den Kopf auf meinen Schoß. Er ist einfach da. Und genau das tue ich als Redner auch: Ich halte den Raum, in dem die Trauer der Menschen ihren Platz findet.

Zwischen Theorie und Herz

Sicher, ich habe Philosophen und Theologen gelesen. Ich kann den Unterschied zwischen Heideggers „Sein zum Tode“ und Viktor Frankls „Selbsttranszendenz“ erklären. Doch das Fundament meiner Arbeit ist nicht die Theorie. Es ist das stille Verstehen. Die Einladung an die Hinterbliebenen: „Ich bin jetzt da – für euch, mit euch.“

In meinen Reden spiegelt sich diese Haltung wider: Ich erzähle Geschichten, lasse Bilder entstehen, beschreibe Gerüche, Lichter und Geräusche – so, wie Teddy sie erleben würde. Nicht, um zu „beeindrucken“, sondern um zu berühren. Damit die Erinnerung an den Verstorbenen mehr bleibt als eine Aneinanderreihung von Fakten.

Von Mensch und Tier

Vielleicht sind wir Menschen zu oft Gefangene unserer Gedanken, unserer Angst vor dem Unbekannten. Teddy hingegen lehrt mich Gelassenheit. Er zeigt mir, dass Leben mehr sein kann als nur Grübeln und Planen. Und dass es in der Trauer weniger auf „kluge Worte“ ankommt – sondern auf echte, liebevolle Präsenz.

Wenn ich also vor Trauernden stehe, denke ich manchmal an meinen Hund. Und daran, dass auch wir Menschen Momente brauchen, in denen wir nur „sind“. Im Hier und Jetzt. In aller Stille. Und in der Hoffnung. Im Vertrauen auf die Liebe Gottes.

Über den Autor

Harald Preyer ist systemischer Coach und geistlicher Begleiter. Seit seiner eigenen gut überlebten Krebsoperation im Dezember 2018 gestaltet er mit Hinterbliebenen aus Dankbarkeit christliche Abschiedsfeiern vor allem für Menschen, die an Gott glauben aber mit Kirche nichts mehr zu tun haben wollen. Er ist selbst gläubiger Katholik und dient jeden Sonntag um 12:00 Uhr als Lektor und Kommunionspender im Wiener Stephansdom. Nach der Heiligen Messe führt er oft Trauernde hinauf zur Orgelempore, wo sie im Blick in die Weite in Richtung Hochaltar nicht selten den Verstorbenen spüren. In der Branche kennt man ihn als den „Vater-Unser-Redner mit dem Chow Chow.“

Lied vom Regenbogenkreuz

Altarkreuz der Dormitio-Abteikirche auf dem Zionsberg in Jerusalem auf dem Kreuz vom Sinai
Fotos: Kerstin Rehberg-Schroth


Unsere Hoffnung gründet in der Liebe,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Vor unsren Augen steht der Regenbogen,
Treue von Gott für Noah und für uns.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Unsere Sehnsucht gründet in der Treue,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Zwölfzahl der Stämme, Enden eines Kreuzes,
Israels Bund, im Sinai verbürgt.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Herr, unser Friede gründet in der Botschaft,
die Gott im Bund uns Menschen zugesagt.
Balken des Kreuzes, Auferstehung Christi,
Zeichen der Liebe, die Versöhnung schenkt.


Herr, deine Liebe ist uns Kraft zu leben.
Sie schenkt uns weiten Raum
und gibt uns ein Zuhaus.


Lied vom Regenbogenkreuz (Dormitio Jerusalem)
Verfasserschaft unbekannt

Was lässt sich über das Leben sagen, Franz Schuh?

Franz Schuh, *1947, Philosoph, Schriftsteller und Essayist, zuletzt erschienen »Ein Mann ohne Beschwerden« (Zsolnay)

Was gilt im Leben absolut? Umsonst ist nur der Tod, heißt es im Wienerischen Jargon, und der kostet das Leben. Das Absolute ist die theologisch-philosophische Überhöhung dessen, was man in der irdischen Gesellschaft »das Unverhandelbare« nennen kann. Das Absolute für uns Menschen – als Einzelne und im Kollektiv – ist die Endlichkeit des Lebens, die schlichte Tatsache, dass das Leben vorübergeht.

Ein einziges Mal wurde ich in meiner auf der Hand liegenden These über das Absolute unsicher. Das war bei einem Symposion über das Werk von Elias Canetti. Da sprang Vilém Flusser auf, der 1991 verstorbene Medien-Philosoph, ein Technikfreak, und wies alles, was im Sinne Canettis über den Tod zu sagen ist, weit von sich. Je mehr, sagte Flusser, ich hier zuhöre, desto unsympathischer wird mir dieser Canetti, und er stellte in Aussicht, der Tod wäre nichts Absolutes, sondern die Menschheit würde schließlich eine technische Lösung finden, um ihn zu überwinden. Die Unsterblichkeit jenseits der Transzendenz, das nenne ich technikaffin: Unsterblich im Leben, was für eine Dr. Frankenstein-Innovation.

Meine These lautet, dass der Tod das einzig Absolute ist. Das rückt das Sterben und seine zu erreichende Würde an die Spitze der Bestenliste unserer Existenz: Wir müssen was tun, wir müssen handeln, um das Sterben, zum Beispiel im Krieg, nicht empathielos zu einer Routine, zum Alltag werden zu lassen. Wir sollten Hospize einrichten und keine Abschussrampen bauen.

Aber so ein »Wir« gibt es nicht. Irgendetwas müsste mit den Ersatzformen des Absoluten passieren, was sicher nicht passiert: Der Nationalismus, der religiöse Fundamentalismus, die Gier nach Macht, die Habgier, die (selbst-)mörderische Leidenschaftsliebe, der Hass auf den Nachbarn und so weiter – diese beliebten, scheinlebendig machenden, überwertigen Motivationen werden das Leben der Vielen (und ihrer Institutionen) ad infinitum, ausfüllen.

Dagegen berühmte Zeilen aus einem Brecht-Gedicht: »Wenn die Irrtümer verbraucht sind / Sitzt als letzter Gesellschafter / Uns das Nichts gegenüber.« Anschauungsunterricht dafür bietet eine Fernsehsendung des ORF. Sie heißt »Goldener Herbst – Legenden reden über’s Leben«. Das könnte die schlimmste mediale Formatierung sein: »Legenden«, also sogenannten Prominenten das letzte Wort »über’s Leben« zu überlassen. Es ist die totale Selbstbespiegelung des Mediums, das ja entscheidet, wer prominent ist und wer.

Wie im Leben gibt der ehemalige Operndirektor Ioan Holender gleich zu Anfang der Sendung den Ton an. »Goldener Herbst«, das sei ein schöner Titel, es könnte ja auch heißen »früher Winter« – aber, sagt Holender, »nach dem Herbst kommt noch was, nach dem Winter kommt nichts«. Das ist – nach meiner Meinung – die tröstliche, aber auch vertröstende, melancholisch-ironische Variante, den Tod durch eine Redeweise ins Leben mit einzubeziehen.

Eine andere Redeweise ist erstaunlich, sie stammt von Ernst Bloch und lautet, aus dem Gedächtnis zitiert: »Der Tod – eine Erfahrung, die ich auch noch machen möchte.« Bloch war ein Atheist, ans ewige Leben, an irgendeine Art von Leben nach dem Tod, hat er nicht geglaubt. Er hat mit der willkommenen Erfahrung schlicht das Sterben selbst gemeint, auf das er neugierig ist.

Ich glaube, diese Reaktion einer zustimmenden, einverstandenen Neugier ist die einzige Möglichkeit (auch die einzig lebensbejahende), um dem Tod seine gnadenlose Absolutheit zu nehmen. Ob das in den entscheidenden Augenblicken funktioniert – na, schau mer mal.

Quelle: Gemischter Satz, Der Newsletter der ZEIT Österreich • 47/2024