Ein Wunder im Alltag

Es war ein kühler, klarer Dezembertag, als ich eine liebe Bekannte mit dem Auto meiner Frau zur U-Bahn brachte. Sie war guter Dinge, doch während wir durch die Stadt fuhren, wurde es plötzlich still im Wagen. Wie aus dem Nichts fragte sie: „Glaubst du an Wunder?“

Ich zögerte einen Moment. Diese Frage war so direkt und doch so tief, dass ich mir bewusst Zeit nahm, die passenden Worte zu finden. „Ja,“ sagte ich schließlich, „ich glaube, dass Wunder jeden Tag geschehen.“

Ich erzählte ihr von meiner eigenen Erfahrung, die mein Leben verändert hatte. Im Dezember 2018 musste ich mich einer Notoperation unterziehen, einer ernsten, lebensbedrohlichen Situation. Die Ärzte taten alles Menschenmögliche, doch was ich damals spürte, ging darüber hinaus. Es war, als würde eine unsichtbare Hand mich tragen. Dieses Gefühl des Geborgenseins, dieses Vertrauen, dass es einen Sinn geben muss – das war für mich ein Wunder.

Ich erzählte ihr auch von Freunden, die mit schweren, medizinisch als unheilbar diagnostizierten Krankheiten kämpften. In diesen Momenten, wenn menschliche Möglichkeiten an ihre Grenzen stießen, hatten wir gemeinsam gebetet. Wir haben Gott gebeten, uns zu begleiten, haben losgelassen und das Schicksal in seine Hände gelegt. Und manchmal, nicht immer, geschah das Unfassbare: Die Menschen wurden gesund. Doch auch wenn keine Heilung kam, spürten wir eine andere Art von Wunder – Frieden, Kraft und eine innere Heilung, die uns trug.

„Ich glaube,“ sagte ich schließlich, „dass Wunder oft aufmerksames Zuhören, Mitleiden, Mitfreuen und gemeinsames Danken als Grundlage haben. Sie sind die Momente, in denen wir spüren, dass wir nicht allein sind.“

Sie lächelte und sah mich an. „Ich wollte es einfach wissen,“ sagte sie. Dann fügte sie hinzu: „Übrigens habe ich heute meinen ersten Rosenkranz gebetet.“ Ihre Worte erfüllten den Wagen mit einer unerwarteten Wärme. Ich hielt kurz inne, sah sie an und fragte: „Möchtest du, dass wir ein Ave Maria zusammen beten, bevor du aussteigst?“

Sie nickte, ein wenig überrascht, aber auch berührt. Gemeinsam beteten wir das „Gegrüßt seist Du Maria, voll der Gnade…“. Als ich am Ende die Gottesmutter direkt ansprach, bat ich sie, meine Bekannte zu beschützen und zu begleiten. Meine Worte waren einfach, aber von Herzen. Als wir fertig waren, sah sie mich an und sagte erstaunt: „Ich wusste nicht, dass man die Mutter Gottes einfach so ansprechen kann.“

Ich lächelte. „Doch, das kann man. Genau das ist das Wunderbare am Glauben. Wir dürfen Gott unseren Vater nennen, dürfen Maria als Mutter sehen und sie um Hilfe bitten. Es ist diese Nähe, die das Christentum so lebendig macht. Es ist, als ob wir immer eine Hand haben, die wir ergreifen können – in Freude, in Angst, in Dankbarkeit.“

Sie stieg aus, doch bevor sie ging, drehte sie sich noch einmal um. „Danke,“ sagte sie leise, „das war schön.“

Als ich weiterfuhr, dachte ich über die kleinen Wunder nach, die uns oft mitten im Alltag begegnen. Manchmal kommen sie ganz unscheinbar, in einem Gebet, einem Gespräch oder einem Lächeln. Doch wenn wir aufmerksam sind, können wir sie erkennen. Und vielleicht sind wir selbst, in diesen Momenten, ein kleines Wunder für jemand anderen.

Veröffentlicht von

Harald R. Preyer

Unternehmer mit Tiroler Wurzeln Einfühlsamer Begleiter von Persönlichkeiten

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