Digitalisierung – Bedrohung oder Chance?

eine sehr persönliche Nachlese von Harald R. Preyer
Stift Göttweig, am 12.10.2018

Donnerstag, 07:40 Von Ober St. Veith fahren wir – ein Kollege und ich – über die Westautobahn Richtung St. Pölten. Es ist wenig Verkehr und wir haben die Sonne im Rücken. Der Wienerwald leuchtet in herbstlicher Pracht. Ein Farbenspiel der Natur in tausend Tönen, mit einer intensiveren Farbpalette als die Werke von Claude Monet, die gerade in der Albertina gezeigt werden. Vorbei an Stift Herzogenburg, der Donau entlang. Wir biegen auf die Schnellstraße 37a Richtung Mautern ab und nach fünf Minuten der erste Blick auf Stift Göttweig. Majestätisch thront die Krone der Wachau unübersehbar auf dem Göttweiger Berg. Wir sehen den Nord-Ost-Turm, der noch aus dem 11. Jahrhundert erhalten ist. Zehn Minuten später endet unsere romantische Fahrt auf dem Parkplatz des Exerzitienhauses. Wir sind nach knapp 50 Minuten gut aus Wien angekommen.

Foto: P. Johannes Paul, O.S.B.

Das große Tor zum Stiftshof ist offen. Der wilde Wein trägt herbstliches rot. Wir gehen durch die Seitentüre über das Mosaik mit dem Fisch – uraltes Erkennungsmerkmal der Christen in der Urkirche.


08:30 Siegfried aus Linz kam schon etwas früher mit dem Zug in Paudorf an. Er hat die Zeit genutzt, die Kirche und den Stiftshof zu bewundern. Er ist das erste Mal da. Regina aus München reiste schon am Vorabend an und hat im Exerzitienhaus übernachtet. Sie kommt seit Jahren immer wieder nach Göttweig. Bei den Göttweiger Dialogen ist sie heute das erste Mal dabei. Herzliche Begrüßung im Refektorium. Es duftet nach Café. Einige unserer Gäste, die langsam eintreffen, nehmen eine Schale Tee. Die Auswahl ist groß. 

09:00 Pater Johannes Paul, unser liebevoller Gastgeber, lässt uns spüren, dass jede und jeder Einzelne von uns ganz herzlich willkommen ist. Er erinnert sich an alle „Stammgäste“, kommt sofort ins Gespräch mit unseren vier neuen Teilnehmern. Man stellt sich einander vor, macht sich bekannt. Und es ist nach kurzer Zeit wie ein Treffen unter guten Freundinnen.

09:30 Wir gehen hinauf in den „Vortragsraum“. Dort stellen wir alle gemeinsam die Sessel um und bilden einen Kreis. Das hat gar nichts Esoterisches, Künstliches. Gar nicht. Es ist einfach eine Form, die das Zuhören mit hoher Aufmerksamkeit und Achtsamkeit unterstützt. Die erste Gesprächsrunde: Jeder stellt sich mit seinem Vornamen vor und sagt, was ihn zum Thema Digitalisierung beschäftigt. Keine langen Selbstdarstellungen. Einfache kurze Antworten. Es wird klar, dass wir alle hier sind, um einen Tag lang Inspiration zu erfahren. Gedanken, Erfahrungen, Befürchtungen, Erwartungen und Lösungen anderer Teilnehmerinnen. 

09:50 Pater Johannes Paul öffnet sein iPad und stellt uns seine wohlüberlegten Gedanken zum Thema „Digitalisierung – Bedrohung oder Chance?“ vor. 

Er macht klar, dass die Bibel zur „Digitalisierung“ im engeren Sinn, im technologischen Sinn keine Antwort hat. Fasst man das Thema allerdings soweit, wie man es fassen muß, um es heute auch wirklich sinnvoll zu diskutieren, dann geht es um nachhaltige Formen von Veränderung. Um neue Haltungen, um Arbeitsteilung. Wir würden heute sagen um „disruptive“ Modelle. Und da kann die Bibel sehr wohl mitreden. Anhand der ausgewählten Bibelstellen inspiriert uns Pater Johannes Paul, das Thema umfassend zu sehen. Er zeigt die Bedrohungen auf. Seine Worte lassen gleichzeitig Lösungen durchblitzen, die zum Weiterdenken anregen.

10:10 Die Diskussion ist eröffnet. Wir tauschen uns aus über die Listening Funktion der Smartphones, über Datenschutz, über die ungeahnten Möglichkeiten des Internet der Dinge, über die menschenlosen Fabriken, die heute überall entstehen. Selbstfahrende Automobile mit einem Nutzungsgrad von 60% statt wie heute rund 15%. Nachhaltiger Umgang mit Ressourcen. Virtuelle Universitäten. Die Bedeutung von Digitalisierung für den weltweiten Arbeitsmarkt. Neue Qualifikationen, die notwendig werden. Die Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit den neuen Medien. Digital Detox. Einkommensmodelle. Predictive Analysis – selbstlernende Algorithmen erkennen auf Grund der Vernetzung vieler Datenquellen, was wir wann wahrscheinlich brauchen werden und machen uns konkrete Angebote.

Wir spüren, dass die digitale Zukunft nicht aufhaltbar ist und wir sehen sie als große Chance für die Menschheit – wenn wir damit verantwortungsbewusst umgehen. Jede einzelne für sich und wir als Gesellschaft.

Was auffällt: Niemand unterbricht. Wir hören respektvoll einander zu. Es braucht keine Rednerliste. Einfache Handzeichen genügen. Beeindruckend auch die hohe Achtsamkeit, mit der jeder von uns die Diskussion bereichert. Keiner will sich profilieren, jede Teilnehmerin bemüht sich, zum großen Gemeinsamen ein sinnvolles Mosaiksteinchen beizutragen.

Foto: Dr. Jürgen Hoffmann

11:00 Pause
Ich nutze die Zeit, um meinem Freund Jürgen, der heute das erste Mal dabei ist, kurz die Kaiserstiege zu zeigen. Die Mitarbeiter im Museumstrakt begrüßen uns herzlich. Wir gehen hinauf zum großen Spiegel, der den Blick auf das größte komplett erhaltene Fresko Paul Trogers freigibt, ohne dass man sich den Hals verrenken muss. Daneben ein Modell von Göttweig aus 1083 – vor dem großen Brand von 1718. Und der Blick aus jedem Fenster hinunter ins Donautal, in die Wachau begeistert. Am Rückweg gehen wir über den Gästegang und durch die Sakristei hinunter zum Chor vor dem Hochaltar und durch die Stiftskirche hinaus zum obligaten Gruppen-Foto auf der Treppe.

12:00 Die beruhigenden Glocken der Stiftskirche läuten 12:00 Uhr ein. Wir haben vor dem Chorgestühl der Mönche auf schönen Hockern Platz genommen. Die tiefen Glocken schwingen aus. Wir sind in einer anderen Welt. Die herbstliche Mittagssonne malt durch die wunderschönen chromatischen Glasfenster ihre vielfärbigen Ornamente auf den Marmorboden. Das hellere Geläute stimmt uns jetzt zum Beginn der Mittagshore ein. Wir stehen alle auf, drehen uns zum Hochalter und verneigen uns, währende der Cantor die alte gregorianische Weise anstimmt: „O Gott komm mir zu Hilfe…“. Wir drehen uns den gegenübersitzenden Mönchen und Teilnehmern zu und verneigen uns voreinander. Nach dem ersten Psalm setzen wir uns und singen leise mit den Mönchen Ihre Psalmen. Einige von uns lassen sich auch einfach nur auf die Stimmung ein. Jedenfalls sind wir alle in Resonanz mit dem Moment, mit dem jetzt, mit einer ganz besonderen Schwingung, die das Überirdische, das Göttliche erahnen lässt.

12:30 Die Mönche verlassen schweigend ihre Plätze, verneigen sich jeweils zu zweit, vor dem Hochaltar und gehen durch die beiden kleinen Türen links und rechts in ihr Refektorium. Sie werden schweigend und andächtig dorthin gehen. Sie werden dort ganz bewusst nicht plaudern, sondern eine Tischlesung hören und erst, wenn der Abt mit seiner kleinen Klingel ein Zeichen gibt, werden sie leise und respektvolle miteinander kurze wohlüberlegte Gedanken austauschen. Mönche quatschen nicht sinnlos. Es ist für sie ein Zeichen der Demut, weniger und dafür Sinnvolles zu sprechen. 

 

Wir gehen mit P. Johannes Paul durch die Kirche hinaus in die Mittagssonne, über den Stiftshof und hinunter ins Restaurant, wo wir schon vom aufmerksam Restaurantleiter, Martin Scherhag, begrüßt werden. Ich hatte leider erstmals vergessen, das Prälatenstüberl für uns zu reservieren. Es ist dennoch reserviert. Der aufmerksame Restaurantleiter hat es selbständig reserviert, weil er sich an mein Mail mit der Einladung zu den Göttweiger Dialogen erinnert hat.

Foto: Dr. Jürgen Hoffmann

Zeitgleich mit uns kamen zwei Busse und die Teilnehmer einer Tagung im Restaurant an. Dennoch sind die Mitarbeiter im Service freundlich und gelassen. Es dauert zehn Minuten länger als sonst und die a la carte bestellten Gerichte aus der Stiftsküche sind serviert. Alles frisch und aus Zutaten der Region zubereitet. Zur Jahreszeit passend. Wir sitzen an Sechser- und Vierertischen, damit auch beim Essen Tischgespräche möglich sind. Eine lange Tafel  hätte ja den Nachteil, dass man meist nur mit dem Gegenüber und den Nachbarn sinnvoll kommunizieren kann.

Nach dem Essen wird ein Körberl durchgegeben. Das ist die Einladung, nach Selbsteinschätzung die Kosten der Konsumation und eine Spende an die Mönche für die aufwendige Dachrenovierung hineinzulegen. Der Partner einer führenden Wirtschaftstreuhandkanzlei – unser langjähriger treuer Teilnehmer Anton – zählt den Inhalt des Körbchens, begleicht die gesamte Konsumationsrechnung der Gruppe bar und übergibt P. Johannes Paul rund 360,– als Spende.

14:15 Mag. Bernhard Rameder, der Leiter der graphischen Sammlung von Stift Göttweig und Nachfolger des legendären verstorbenen Pater Gregor empfängt uns in der Burg. Das ist die zweitgrößte graphische Sammlung nach der Albertina.

Er erzählt uns von einem Original-Dokument aus dem Göttweiger Archiv, das – lange vor Martin Luther – eine Übersetzung von Ausschnitten der Bibel ins Deutsche beinhaltet. Der Bibelübersetzer muss ein Bewohner aus der Gegend gewesen sein. Das gesamte Buch wurde – wie tausende andere auch – in den letzten Jahren digital reproduziert und kann so nun weltweit und immer zur Verfügung gestellt werden, ohne dass die wertvollen Originale Göttweig verlassen müssen. Die Bibelforscher aus aller Welt, denen wir im Restaurant begegnet sind, tagen seit gestern hier, um sich zu diesem Fragment austauschen und weiter zu forschen.

Bernhard zeigt uns das moderne und mobile Modell eines Reproduktion-Gerätes, mit dem in einer Stunde ein 300 Seiten Werk behutsam und in hoher Qualität digital erfasst werden kann.  Auch hier hat Digitalisierung einen hohen Nutzen für die Wissenschaft und schafft neue Arbeitsplätze.

15:00 Wir sind zurück im Vortragsraum. Regina und Andreas haben via Skye den Nachmittagsimpuls vorbereitet. Sie lebt als Führungskraft einer Krankenhaus-Apotheke in München, er als Universitätslektor, Berater und Podcaster in Krems (www.schachenhuber.com). Die beiden lassen uns in einer sehr sympathischen Doppel-Conference an ihren Erfahrungen mit Digitalisierung teilhaben. In beiden Berufsbildern wird rasch klar, dass Digitalisierung eine echte Chance für neue Berufe, besseren Austausch, Innovation und letztlich Lebensqualität bedeuten kann. Klar wird noch einmal, dass es die Verantwortung eines jeden Einzelnen ist, wie sie, wie er damit umgeht. Auch hier gilt wieder einmal, was die Regula Benedicti betont und was auch in der Pharmazie so wesentlich ist: Es geht um das rechte Maß in allem! Dosis facit venenum.

15:45 Letzte Gesprächsrunde. „Was hast Du mitgenommen? Was hat Dich beeindruckt? Womit wurdest Du heute reich beschenkt?“ Und neben viel an DANK und Rührung kamen noch ein paar Schlussakkorde dazu, die das Thema sehr gut abrundeten. 

16:15 Der priesterliche Segen von Pater Johannes Paul für uns alle. Herzliche Verabschiedungen. Austausch von Visitenkarten. Große Freude auf die nächsten Göttweiger Dialoge am 2. Mai 2019.

16:30 Eine kleine Runde findet sich noch auf der Terrasse des Stiftsrestaurants auf ein Gläschen Göttweiger Messwein, einen Café ein Nachklingen lassen des Tages zusammen. Die Donau im Tal lenkt den Blick wie ein silberner Streifen von Krems nach Dürnstein, dessen blauen Kirchturm wir am Horizont noch sehen können.

 

17:50 Die Glocken rufen zur Vesper. Sie werden das auch später zur Komplet tun und morgen in der Früh zur Laudes um 06:00 und zur Heiligen Messe um 06:45. Ich habe mich entschlossen, die nächsten beiden Tage hier zu bleiben, um beim Psalmenwochenende dabei zu sein. Vorher werde ich noch diese persönliche Nachlese geschrieben haben. 

u.i.o.g.d.

Veröffentlicht von

Harald R. Preyer

Unternehmer mit Tiroler Wurzeln Einfühlsamer Begleiter von Persönlichkeiten

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