Susanna – Würde im Licht

Die Geschichte beginnt in einem Garten.
Susanna, eine verheiratete, fromme Frau, geht wie jeden Tag in den Garten ihres Hauses, um zu baden. Zwei ältere Männer – angesehene Richter im Volk – beobachten sie heimlich. Sie begehren sie und nutzen ihre Macht, um ihr eine Falle zu stellen: Entweder sie gibt sich ihnen hin, oder sie wird öffentlich der Untreue bezichtigt.

Susanna weigert sich. Ohne Zorn, ohne Aufsehen. Einfach klar. Sie sagt Nein – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung. Die Männer halten Wort: Sie lügen. Und das Volk glaubt ihnen. Susanna wird verurteilt.

Da erhebt sich plötzlich ein junger Mann aus der Menge – Daniel. Er spürt, dass etwas nicht stimmt. In ruhigem Ton verlangt er, die beiden Alten getrennt voneinander zu befragen. Ihre Aussagen widersprechen sich. Die Lüge fliegt auf. Die Wahrheit findet Gehör – weil einer hinhört.

Am Ende heißt es schlicht: „Gott erhörte ihr Schreien.“ – Und Daniel wurde zum Retter einer Unschuldigen, allein durch sein feines Gespür und den Mut, der Stimme des Gewissens zu folgen.

Bibel, Altes Testament, Buch Daniel 13,1 – 14,42


Zwei große Maler – zwei Lesarten einer Wahrheit

Jacopo Tintoretto und Paolo Veronese, zwei Meister der venezianischen Spätrenaissance, haben diese Szene auf je eigene Weise gestaltet – beide Werke hängen heute im Kunsthistorischen Museum Wien.


Jacopo Tintoretto, „Susanna im Bade“, um 1564. Öl auf Leinwand, 96 × 124 cm. Kunsthistorisches Museum Wien. Gemäldegalerie Saal V
Susanna im Moment der inneren Sammlung. Nackt, aber nicht entblößt. Wachsam und klar, umgeben von dunklem Laub – die Bedrohung schleicht, aber sie bleibt aufrecht.


Paolo Veronese, „Susanna und die beiden Alten“, um 1580–1585. Öl auf Leinwand, 140 × 194 cm. Kunsthistorisches Museum Wien.
Susanna im Licht, umgeben von Farben, fast leuchtend. Die beiden Männer treten nahe, doch sie weicht nicht. Sie bleibt bei sich – in einer Würde, die kein Urteil trüben kann.


Was bleibt?

Diese Geschichte, diese Bilder, diese Frau – sie erzählen von mehr als einem biblischen Vorfall.
Sie erzählen davon, was es heißt, in der Wahrheit zu bleiben, auch wenn sie niemand hören will.
Davon, wie gefährlich Macht sein kann – und wie heilend Aufmerksamkeit.
Und davon, dass das Vertrauen in das Richtige manchmal das Einzige ist, was wir haben – und das Stärkste, was wir brauchen.

Susanna hat sich selbst nicht verraten. Daniel hat ihr zugehört.
Und die Kunst bewahrt diesen Moment – nicht als frommes Märchen, sondern als zeitlose Erinnerung an die Kraft der Würde.