Die Dienstbotenmuttergottes

Die Dienstbotenmuttergottes: Das bezaubernde Lächeln in ihrem Gesicht bezeugt, warum sie als „Schöne Madonna“ bezeichnet wird. Sie ist die älteste Marienfigur des Domes, entstanden um 1300.

Die älteste Marienfigur im Dom ist gleichzeitig eine der bekanntesten und wohl die bedeutendste: die legendenumwobene Dienstbotenmuttergottes. Die Legende weiß zu berichten, dass einer reichen Gräfin ihr Ring abhanden gekommen sei. Daraufhin beschuldigte sie ihre Dienstmagd des Diebstahls. Das unschuldige Mädchen nahm zu dieser Marienstatue in der gräflichen Privatkapelle im Gebet Zuflucht, worauf sich bald der Ring im Handschuh der Gräfin wiederfand und die Magd rehabilitiert war. Die Gräfin soll daraufhin die Figur der Stephanskirche geschenkt haben.

Der Name erklärt sich aber wohl eher von daher, dass sich die um 1300 entstandene Statue ursprünglich als Andachtsbild am ehemaligen Marienaltar im Frauenchor befand, wo in alter Zeit die Frühmesse, die vor allem die Dienstboten besuchten, gefeiert wurde. Von diesem und vielen anderen Legenden umwoben, erklärt sich der Name – darin besteht wohl der wahre Kern der Legende.

Die Madonnenfigur, die ursprünglich auch auf der Rückseite ausgearbeitet war, ist durch den Schleier grazi mit dem lebhaft wirkenden Jesusknaben verbunden, in ihrer höfischen Eleganz ähnlich den Trumeau-Madonnen der französischen Kathedralgotik. Der unbekannte Künstler stammte wohl aus Frankreich oder dem Rheinland. Sie gilt als eine der schönsten Marienfiguren und zählt zu den bedeutendsten Skulpturen ihrer Zeit. Der gespannte Schleier, der auch das Jesuskind umhüllt, ist keine Eigenart dieses Kunstwerks (ähnliche Figuren gibt es in der Wiener Minoritenkirche und in der Niedermünsterkirche in Regensburg), sondern Symbol sowohl für die Menschwerdung (Windel) als auch für den Tod (Grabtuch) Jesu.

Der elegante Körperschwung wird durch breite Schlüsselfalten und kurvige Röhrenfalten betont. Die Statue besteht aus Margareten Sandstein und ist dem Typus der „Schönen Madonna“ zuzurechnen – wer einmal bewusst in das lieblich lächelnde Gesicht der Gottesmutter geblickt hat, weiß, warum sie so genannt wird und dass sie diese Bezeichnung wirklich verdient. Ursprünglich trug sie noch eine Krone oder einen Kronreif, in der barock ergänzten rechten Hand ein Szepter. Als Stifter wird in der jüngeren Forschung Herzog Albrecht I. angenommen. Da der Herzog in der Zeit des Chorbaus 1308 starb, lässt sich die Datierung mit seinem Todesjahr eingrenzen, sie stand demnach schon in der romanischen Stephanskirche, ist älter als Chor und Langhaus und muss wohl bei den Besuchern damals einen sehr „modernen“ Eindruck hinterlassen haben.

Seit Jahrhunderten brennen Kerzen vor ihr und der Rauch der vielen Talgkerzen hat sie im Laufe der Jahre dunkel gefärbt – so als hätten sich die vielen Gebete in die Figur der Gottesmutter eingebrannt. Wenn man sie restaurieren und die verborgenen Farbschichten freilegen würde, wäre das sicher ein ästhetischer Gewinn und von großem kunsthistorischem Interesse. Doch kann man die gleichsam „geheiligte“ Patina nicht einfach abnehmen, sie ist ein Zeichen der Frömmigkeit und der großen Verehrung.

Die Dienstbotenmuttergottes gehört zu den am meisten verehrten Gnadenbildern von St. Stephan, frische Blumen und gespendete Kerzen zeugen davon. Täglich besuchen sie Betende, um ihr Anliegen und Bitten anzuvertrauen, um sie um Fürbitte anzurufen. Manche kommen jeden Tag „auf einen Sprung“ in den Dom, um ihr – wie einer guten Freundin, die zuhören kann – von ihren alltäglichen Anliegen und Freuden zu erzählen.

Quelle: Reinhard H. Gruber, Der Wiener Stephansdom, Portrait eines Wahrzeichens, Tyrolia, 2024, Seite 126 und 127